Quo vadis, Fußball?
Hans-Reinhard Scheu 
 
 
 
 
 
Quo vadis, Fußball
 
www.s-port.de/quovadis/0284.html  
Quo vadis, Fußball?
Verlag Die Werkstatt 
ISBN 3-89533-298-4
3. [Zweite Realität]
4. 
Die Zuschauerperspektive
Tennis und neuerdings Golf haben ihre Lobby - auch und gerade unter den schlägerschwingenden höheren Chargen der Programmverantwortlichen. Wenn von den ARD-Sportchefs ein halbes Dutzend selber spielt und gern selber überträgt, werden den Zuschauern auch ohne Graf und Becker weiter die Bälle um die Ohren fliegen. Menschlich verständlich, journalistisch fragwürdig. Bei RTL wird der Zuschauer sogar bewusst dauermanipuliert in seinem Erwartungshorizont, denn just jene Sportarten, für die der Sender die teuren Übertragungsrechte besitzt und folglich üppige Sendezeiten reserviert, tauchen regelmäßig durch verkappte Vorschauberichte in ganz normalen Nachrichtensendungen auf. 
Durch derlei penetrante und unseriöse Interessensteuerung wie durch journalistisch legale permanente Hinweistrailer erfolgt einmal die auf den speziellen Sendetermin gerichtete Fern(seh)steuerung der Rezipienten, darüber hinaus deren schleichende "Umerziehung", das durch Rechteeinkauf und Programmpolitik verengte TV-Sportangebot als das wahre Spiegelbild der Sportszene zu begreifen. 
Der umworbene Rezipientenkreis für werbefinanzierte Programmanbieter sind die 14 - 29jährigen, da sie nach Meinung von Medienexperten am ehesten zu beeinflussen und zum Kauf der in den Werbepausen offerierten Produkte anzuregen sind. So schaltet die werbetreibende Industrie teure Werbespots am ehesten dort, wo das Sportangebot das Einklinken dieser umworbenen Käufergruppe erwarten lässt. Günstige Refinanzierungschancen verleiten wiederum die nach Gewinnmaximierung strebenden (privaten) Sender dazu, nur jenen Sport anzubieten, den die kaufwütige Jugend favorisiert. 
So schließt sich der Kreis, der wenige im Trend liegende Sportarten einschließt, von der wunderbaren Geldvermehrung jedoch den Großteil der im deutschen Sportbund vereinten Disziplinen bzw. Verbände ausschließt. Was Wunder, dass - mit Blick auf die Zuschauerzielgruppe der Jugend - auch seitens der Sponsoren aus Wirtschaft und Industrie rund die Hälfte der Mittel dem quotenträchtigen Sport zufließt, während sich mindestens ebenso förderungswürdige Bereiche des öffentlichen Lebens wie Soziales, Kultur, Wissenschaft und Umwelt zusammen die andere Hälfte des Kuchens teilen müssen.
Unzweifelhaft gehen den Vereinen generell durch die wachsende Verweildauer vor der Glotze vor allem Jugendliche (zumindest auf Zeit) verloren. Nachweislich zerbrechen viele an der Diskrepanz zwischen ihrem kindlichen Leitbild des berühmten und reichen Stars sowie der rauen Wirklichkeit von eigener Talentlosigkeit, Betreuungsdefiziten und fehlenden Bewährungschancen - vor allem dann, wenn Eltern fordern statt zu fördern. Auch die Bereitschaft zum Ehrenamt leidet, wenn die abendliche Alternative Vereinsarbeit oder Champions-League heißt. Sogar Ehen scheitern, weil Er glaubt, sich jeden Abend mindestens einen Kick reinziehen zu müssen. 
Soziologen und Sportwissenschaftler sind aufgerufen, das Spannungsfeld zwischen Sport, Fernsehen und Rezipienten zu beobachten, im Interesse einer intakten Gesellschaft (gefährliche) Trends aufzuzeigen und verwertbare Signale auszusenden. Jüngste Entwicklungen auf dem Sportrechtemarkt verheißen nämlich bereits die nächste Revolution im Monopoly des Fernsehsports: Highlights werden ab der Jahrtausendwende vermehrt im Pay-TV oder gar nur noch in Pay-per-View zu sehen bzw. zu haben sein. Von wegen Versorgungsauftrag und Grundnahrungsmittel - Cash für jeden Kick, oder der Rezipient guckt in die Röhre! 
Der Warenkorb Spitzensport, den sich schon heute kein Sender alleine leisten kann, wandert langsam aber sicher vom Supermarkt der dualen Jetztsituation in das Feinkostgeschäft Bezahlfernsehen. Eine Entwicklung, die vielleicht das Ende von ruinösem Wettbewerb der TV-Anbieter und Übersättigung der Fernsehzuschauer bedeutet, aber kaum dazu angetan sein kann, die wahrhaft Sportinteressierten frohlocken zu lassen.
Quo vadis, Fußball? Beiträge und Diskussion
Kapitel 1: Leistungsorientierung und Erwartungshaltungen
Kapitel 2: Das Beispiel Werder Bremen. Sozialer Anspruch und gemäßigter Kommerz
Kapitel 3: Vereinssport als sozialisatorische Eintrichtung
Kapitel 4: Attraktivität an den Grenzen
Inhaltsverzeichnis
Forschungsprojekt

 

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