Quo vadis, Fußball?
Beiträge/Diskussion 2 
 
 
 
 
 
Quo vadis, Fußball
Kapitel 2
  Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik
 

Quo vadis, Fußball?
Beiträge und Diskussion, II
 

Kapitel 2.
Das Beispiel Werder Bremen: Sozialer Anspruch und gemäßigter Kommerz

Das so genannte allgemeine ”Nachwuchsproblem” im deutschen Fußball - gemeint ist dabei das Hervorbringen junger Talente im eigenen Land, die es schaffen, sich früh und dauerhaft in der Leistungsspitze zu etablieren - ist ein Diskussionsthema, das spätestens seit der Fußball-EM von 1992 nach jeder ungenügenden Vorstellung der deutschen Nationalelf von neuem entflammt. Von den Veranstaltern ist der Nachwuchsmanager des SV Werder Bremen, WOLF WERNER, der an der Tagung selbst nicht teilnehmen konnte, befragt worden, wie er im Zusammenhang die Situation des deutschen Fußballnachwuchses allgemein beurteilt und mit welchen Konzepten und Maßnahmen man dieser Problematik beim SV Werder begegnet. 

Zum Zeitpunkt des Symposions noch in der Eigenschaft als leitender Angestellter des SV Werder übernahm es WILLI LEMKE, den Spagat zwischen sozialem Prozess auf der einen und marktwirtschaftlicher Tätigkeit auf der anderen Seite darzulegen, der die Vereinsphilosophie des langjährigen Werder-Präsidiums widerspiegelt. In der Diskussion über diesen Beitrag kam zum Ausdruck, dass das Selbstverständnis von Werder Bremen, jenseits der Dynamik und der Medienpräsenz des Bundesligafußballs den Breitensport zu fördern und soziale Bindungen und überschaubare Kommunikationsbeziehungen aufrecht zu halten, im positiv verstandenen Sinne unüblich sei. Aus ökonomischer Perspektive und bezogen auf die Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Fußballmarkt aber seien, so z.B. die Kritik von FRANZ NITSCH, die von Lemke vertretenen Positionen dagegen ein Anachronismus, der den ökonomischen Entwicklungen im europäischen Prozess nicht gerecht werde.

Diskussion

Lemke, der bekanntlich zu den entschiedensten Verteidigern des ”Solidarprinzips Bundesliga” (Stichwort: zentrale/dezentrale Vermarktung) und damit auch zu den entschiedensten Gegnern einer weiteren Konzentration der Mächtigen zählt, betonte wiederholt seine Sorge, dass die gegenwärtige Tendenz letztlich im Ruin der Bundesliga gipfeln müsse: Fußball werde von Investoren, die sich mitnichten um die Werte des Sports an sich bekümmerten, zur Durchsetzung neuer Medientechnologien (Stichwort: Pay-TV bzw. pay-per-view) benutzt - jene Vereine, die den Markt bereits ohnehin beherrschten, würden dabei mit Fernseh- und Ausstattergeldern nur so überhäuft und kämen in die Lage, den eigenen Erfolg buchstäblich erkaufen zu können. Dem heute noch blühenden - weil zentral geregelten - System Bundesliga drohe damit der Wegfall der ihm zugrunde liegenden Attraktion der Unvorhersehbarkeit von Sieg oder Niederlage, die drei oder vier großen Vereine würden zur dauerhaften Absicherung ihrer Etats auf kurz oder lang einer Europaliga (”Zasterliga”) ohne Auf- und Abstieg beitreten, der nationale Wettbewerb aber geriete damit am Ende zur zweitklassigen Angelegenheit.

Eine Hauptgefahr in der zu schlagenden Schlacht für den Erhalt der heutigen Bundesliga und gegen die totale Kommerzialisierung des Fußballs verorten WILLI LEMKE wie auch FRANZ BÖHMERT - stellvertretend für das Gros der Verantwortlichen im deutschen Fußball insgesamt - in der EU-Rechtssprechung bzw. in einzelnen Entscheidungen der EU-Wettbewerbskommission. Beklagt wurde insbesondere das mangelnde Augenmaß der Kommission, die den Sport da, wo er ein wirtschaftlicher Faktor sei, ausschließlich nach der wirtschaftspolitischen Elle messe. Ein nachhaltiges Beispiel hierfür sei die Zerstörung des bis 1995 gut funktionierenden Transferentschädigungssystems durch das ”Bosman-Urteil” - ein Urteil, das darüber hinaus auch die Perspektiven des Nachwuchses erheblich zu dessen Ungunsten verändert habe. 

Diskussion

Nach WOLF WERNER trifft man in einer Fußball-Importnation wie Deutschland (ebenso wie auch in Italien, England und Spanien) die grundlegende Problematik an, dass dort, wo idealtypischerweise ein fließender Übergang von der A-Jugend zu den Senioren stattfinden sollte, den einheimischen Jugendlichen dieser Weg versperrt wird. Versperrt durch eine riesige Konkurrenz von Spielern aus Fußball-Exportländern, die - mal mittelmäßig, mal weniger begabt - für ”Apfel und Ei” ins Gefecht geworfen würden, während derweil der eigene Nachwuchs ohne Spielpraxis bleibe.

Allerdings: Aus der Perspektive der professionell Fußball Spielenden war das Transfersystem vor ”Bosman” schon über Jahre hinweg ein juristisch äußerst fragwürdiges Gebilde, das den verbrieften Grundrechten des Einzelnen nie standhielt. Ein kurzes und pointiertes Statement von CHRISTIAN HINZPETER verdeutlicht, dass - vor dem Hintergrund der im EU-Recht sanktionierten Gleichberechtigung - insbesondere in puncto Ausländerintegration der Medaille ”Bosman” bedeutende positive Aspekte abzugewinnen sind. Und in einer Replik auf Böhmert und Lemke betonte WALFRIED KÖNIG, dass im Zeitraum seit ”Bosman” und sogar seit dem Amsterdamer Vertrag innerhalb der EU-Kommission inzwischen ein ”erheblicher Bewusstwerdungsprozess” stattgefunden habe.

Nur wenige Wochen nach dem Symposion im Focke-Museum zeigte sich dann gerade am Bremer Beispiel, wie unmittelbar das Modell enger Verflechtung von Profi- und Breitensport auf Vereinsebene von Konjunkturen sportlicher Art abhängt: Das bis dahin über Jahrzehnte amtierende Werder-Präsidium beschloss nach dem Rücktritt des Bundesligatrainers FELIX MAGATH den eigenen Rückzug zugunsten einer Neustrukturierung des Vereins nach dem Modell eines Wirtschaftsunternehmens. Da zudem Manager WILLI LEMKE in die Bremer Landesregierung wechselte, befragten die Veranstalter des Symposions gesondert den neuen Marketingmanager, MANFRED MÜLLER, hinsichtlich zukünftiger Strategien des Vereins.

Kapitel 1: Leistungsorientierung und Erwartungshaltungen
Kapitel 3: Vereinssport als sozialisatorische Einrichtung
Kapitel 4: Attraktivität an den Grenzen

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