Quo vadis, Fußball?
Hans-Reinhard Scheu 
 
 
 
 
 
Quo vadis, Fußball
 
www.s-port.de/quovadis/0283.html  
 
Quo vadis, Fußball?
Verlag Die Werkstatt 
ISBN 3-89533-298-4
2. [Weniger (Inhalt) ist mehr (Quote)]
3. Zweite Realität
Gerade das Fernsehschaffen bietet mit fließenden Grenzen ungeahnte Möglichkeiten unbewusster Entstellung und bewusster Manipulation. Streng genommen ist jede Gestaltung eines gebauten Beitrags wie Selektion, Kürzung und Montage schon ein Stück Manipulation - aber selbst die Liveübertragung ist nicht das Original, für das sie gehalten wird, sondern nur zweite Realität, beeinflusst von Kamera, Regie, Bildschnitt, Geräusch - und natürlich Kommentar. Zu bewussten Fairplay-Verstößen im allgemeinen wie im Schlüsselloch- und Scheckbuchjournalismus gesellen sich medienspezifische Sünden wie Suggestivfragen, Diffamierungen und Gags auf Kosten anderer.
Immer häufiger werden Sendelizenzen und Rechtepakete zum Knebel journalistischer Handlungs- und Meinungsfreiheit. Kommentator und Moderator winden sich in teilweise akrobatischer Manier um angezeigte Kritik, der Interviewer vermeidet heikle Fragen, nur weil das "Event" teuer erstanden wurde und die Geschäftspartner im Interesse zukünftiger Vertragsabschlüsse nicht vergrault werden dürfen. 
Anderthalb Jahrzehnte dualer Rundfunk lassen mehr und mehr jene drei gesellschaftlichen Komponenten: Sportsystem, Mediensystem und Wirtschaftssystem verschmelzen, die einst unterschiedliche, gegensätzliche Positionen einnahmen. Jüngste Beispiele sind die hoch-zweistelligen Millionenbeteiligungen von Mediengiganten an Fußballbundesligisten. Der Sport tauscht dabei Eigenständigkeit und Souveränität gegen Bilanzkosmetik und branchenfremde Vorstandsmitglieder. Ob die größere finanzielle Ausstattung sportlichen Erfolg garantiert oder qua Abhängigkeit eher Misserfolg provoziert, wird sich weisen. 
Die Erfahrung der letzten Jahre: Mehreinnahmen führen zu noch mehr Ausgaben, mittelmäßige Kicker avancieren zu Millionären. Aber gerade sozial Schwache und Arbeitslose opfern eher ihr letztes Geld für Fußball als zu verzichten. Ersatzreligion?
Noch erzielen Fußball-Live-Übertragungen fast durchweg höhere Einschaltquoten und vor allem für die Werbewirtschaft wichtigere Marktanteile als nahezu alle anderen (Stamm-) Programme am gleichen Sendeplatz. Selbst ein bedeutungsloses Vorbereitungsspiel der deutschen Nationalmannschaft im Vorfeld der WM 98 gegen eine regionale französische Juniorenauswahl wurde (von der ARD!) in voller Länge live übertragen und millionenfach konsumiert. König Fußball bleibt Tabellenführer unter einer Handvoll Gewinnern im sportlichen Verdrängungswettbewerb auf der Mattscheibe. 
Die anderen mehr als 50 Sportarten (inklusive olympischer Traditionsdisziplinen) mit nennenswerten bis bedeutenden Aktivenzahlen werden via Medienabstinenz fast gleichrangig zu Randsportarten degradiert, zu Verlierern gestempelt. Unter dem Deckmantel der Produktionshilfe kaufte sich die Tischtennis-Bundesliga zuletzt beim DSF sogar Sendezeiten, um überhaupt noch für die Fernsehzuschauer (und Sponsoren!) präsent zu sein.
Aber gerade das Beispiel Tischtennis macht deutlich, wie Aktive und Anhänger den (TV-) Stellenwert ihrer Sportart mitbestimmen. Niedrige DSF-Quoten und halbleere Hallen sogar bei internationalen Top-Events - während gleichzeitig Kreisliga und Regionalmeisterschaften die potenziellen Zuschauer binden -, vermitteln den Eindruck allgemeinen Desinteresses. Tischtennisspieler schmettern lieber selbst als Schmetterern zuzusehen. Und wenn das Fernsehen fern bleibt, klagt außer dem Verbandsorgan niemand. 
Das Fernsehen züchtet einerseits durch Übertragungsgewohnheiten Begehrlichkeiten, andererseits lässt es ursprüngliches Interesse peu à peu verkümmern, wenn der Zuschauer nur "alle Schaltjahre" mal seine alte Liebe im Programm wiederfindet. Positiv-Beispiel Biathlon: ständig verbesserte Übertragungstechnik und die permanenten Erfolge der nationalen Skijäger haben diesen einst als paramilitärisch abqualifizierten Sport zum TV-Krimi aufgewertet. 
Kontrastprogramm Rudern: Früher Paradedisziplin - heute tauchen die Recken auch in der Fernsehpräsenz trotz sehenswerter Erfolgsbilanz allenfalls bei Olympia oder WM im Programm auf. Aber wer will sie außer den eingeschriebenen Verbandsmitgliedern nachweislich noch sehen? Keine Lobby, keine Sendeminuten. Hoffnung auf bessere Zeiten macht der Radsport: Zu Zeiten der Altig, Junkermann und Thurau top, zwischenzeitlich out, heute mit Ulrich und Zabel wieder top. 
4. Die Zuschauerperspektive
Quo vadis, Fußball? Beiträge und Diskussion
Inhaltsverzeichnis
Forschungsprojekt

 

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