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Olympische
Spiele 1936: Der jüdische Sport als Politikum |
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Der
jüdische Sport im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936
Die Entwicklung des jüdischen
Sports in den Jahren 1933 bis 1936 glich einem Paradoxon: Je näher
die Olympischen Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin in Sichtweite
rückten, desto stärker geriet er zum Gegenstand eines (sport-)politischen
Widerstreits, der die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, vor allem
aber der US-amerikanischen Öffentlichkeit erregte. In der Praxis indes
vollzog sich der jüdische Sport in Deutschland zur gleichen Zeit -
Diktum und Faktum der ”Trennung zwischen Juden und Deutschen” - unter Ausschluss
der Öffentlichkeit in vollständiger Isolation. |
Mit der Entscheidung für
die Durchführung der Olympischen Spiele 1936 in Deutschland und der
noch darüber hinausgehenden Erhebung der Spiele zur ”Reichsaufgabe”
anerkannte Hitler das Regelwerk des Internationalen Olympischen Komitees.
Hitler tat dies, ohne sich der Folgenschwere der Entscheidung anfänglich
auch nur im entferntesten bewusst zu sein. Unbesehen der sich herausstellenden
ungeheuerlichen Ignoranz des IOC gegenüber den tatsächlichen
Verhältnissen im Reich sanktionierte Hitler mit der Förderung
der Spiele gleichzeitig auch die Verpflichtung des Regimes, der jüdischen
Minderheit im eigenen Land ein formales Minimum an Rechten zu garantieren. |
a) Das
IOC und die Rassenfrage
Vor dem Hintergrund der neuen
politischen Verhältnisse seit dem 30. Januar sowie speziell vor jenem
der Diskriminierung der Juden in Deutschland entschied das Internationale
Olympische Komitee auf seiner Wiener Tagung im Juni 1933 über die
Frage der Durchführung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Den
anwesenden deutschen Mitgliedern des IOC wurde - auf eine detaillierte
Darstellung des Vorgangs wird hier verzichtet - anheimgestellt, sich klar
zur Judenfrage zu äußern, da anderenfalls die Spiele an Rom
oder Tokio weitervergeben würden. Von Theodor Lewald wurde daraufhin
eine durch das Reichsministerium des Innern autorisierte Erklärung
vorgelegt, deren Punkte 2 und 3 wie folgt lauteten:
- |
Alle olympischen Vorschriften
werden auf das genaueste beachtet. |
- |
Die deutschen Juden werden
aus der deutschen Mannschaft für die XI. Olympischen Spiele nicht
ausgeschlossen sein. |
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Später sollte sich
dann darstellen, dass diese Erklärung ohne das Wissen Hitlers nicht
nur verfasst wurde, sondern sie ihm auch bis August 1935 nicht bekannt
gemacht worden war! Im Jahr nach der Erklärung von Wien wurde anlässlich
der IOC-Tagung in Athen der deutschen Delegation die abermalige Bestätigung
der ausgesprochenen Zusicherungen abverlangt. Reichssportführer Tschammer
ließ garantieren, ”dass jüdische Sportler in Deutschland ungestörte
Trainingsmöglichkeiten hätten”; die Wiener Formel wurde wiederholt
und mit einem Zusatz versehen: ”Auch ins deutsche olympische Team würden
jüdische Athleten, falls sie die erforderlichen Limite erreichen,
eingereiht werden.” |
b) Richtlinien
der Reichssportführung zum jüdischen Sport
Dass das Erreichen der ”erforderlichen
Limite” letztlich - von einer hinlänglich berühmt gewordenen
Ausnahme abgesehen - in der Tat scheitern sollte, war nicht zuletzt den
massiven Behinderungen des jüdischen Sportbetriebs geschuldet. Bevor
am 17. November 1933 erstmals die sportliche Betätigung selbständiger
jüdischer Vereine von offizieller Stelle explizit zugelassen wurde,
war die Übertragung der Grundsätze des (Arier-) § 3 auf
”Gebiete, für die sie nicht bestimmt sind”, längst in erheblichem
Maße auch auf die Vergabe von Trainingsstätten angewendet worden.
Gerade im Jahr der Neuorientierung der beiden jüdischen Sportverbände
Makkabi und "Schild", dies wird nachstehend zu exemplifizieren sein, wurde
jüdischen Aktiven durch Ausschluss von den Übungsstätten
systematisch die Ausübung ihres Sports verwehrt. Dieser Tendenz wurde
erst - im Gefolge der Athener IOC-Sitzung - durch die Verlautbarung von
Richtlinien für den Sportbetrieb von Juden und sonstigen Nichtariern
prinzipiell Einhalt geboten. Auszüge aus der Direktive im Wortlaut: |
3. Es bestehen keine Bedenken
dagegen, dass die Vereine des Reichsbundes für Leibesübungen,
Trainings- und Gesellschatfsspiele sowie sonstige Wettkämpfe gegen
die oben bezeichneten Vereine austragen.
4. Der Benutzung öffentlicher
und privater Uebungs- und Kampfstätten (wie z.B. Turnhallen, Sportplätze,
Schwimmbäder usw.) steht nichts im Wege, sofern die Anlagen von den
Schulen, den Sportvereinen des Reichsbundes für Leibesübungen
und den nationalen Verbänden nicht benötigt werden. |
Allerdings: Der für
den jüdischen Sportbetrieb so existentiell wichtige Punkt 4 sollte
in der Praxis nur schleppend zum Tragen kommen, denn die Richtlinien waren
- laut Aufdruck - nicht für die Veröffentlichung vorgesehen(!)
und erreichten die entscheidenden kommunalen Stellen nur dann, wenn diese
von sich aus bei höheren Instanzen um Auskunft ersuchten. Und nahm
man Punkt 4 denn zur Kenntnis, so bot sein Wortlaut immer noch die Möglichkeit
beliebig dehnbarer Interpretation. |
c) Übungsstätten
für jüdische Sportler in Deutschland
Über die einschneidenden
Maßnahmen bei der Benutzung der öffentlichen, ”insbesondere
der städtischen” Übungsstätten berichtet ROBERT ATLASZ:
”Im übrigen herrschte
völlige Kopflosigkeit und Direktionslosigkeit. Vorderhand wurde der
größte Teil aller Tätigkeit lahmgelegt, da sämtliche
städtischen oder staatlichen Turnhallen oder Sportplätze der
Benutzung durch jüdische Vereine entzogen wurden. Wie weit überhaupt
eine weitere Tätigkeit ausgeübt werden konnte ... lag völlig
im Ermessen der örtlichen SA- oder Gestapostellen.” |
Nur wenige der jüdischen
Vereine waren zum Zeitpunkt der "Neuordnung des deutschen Sports" in Besitz
eigener Sportplätze oder Turnhallen. In vielen Fällen mussten
Übungsstätten buchstäblich aus dem Boden gestampft und Fabrikhallen
oder Tanzsäle zu Turnhallen umfunktioniert werden. Dort, wo jüdische
Sportler sich eigene Übungsstätten bereits geschaffen hatten,
waren sie vor Übergriffen aber auch nicht sicher. Die Praxis der allgemeinen
Willkür- und Gewaltakte gegen Juden in Deutschland fand im Bereich
des Sports ihre Entsprechung. Im Folgenden ein exemplarischer Vorgang aus
dem Herbst 1933: |
”Die Kreisleitung erhielt
vom neuernannten ›Sportführer‹ der Nazis die Erlaubnis, im September
auf dem Grunewald-Sportplatz die Makkabi-Meisterschaften in der Leichtathletik
abzuhalten. Ca. 300 Sportler und Sportlerinnen aus allen Teilen Deutschlands
kamen zum Sportplatz, um zum ersten Mal unter den völlig anderen Bedingungen
ihre Meisterschaften auszutragen und eine echte Wettkampfmöglichkeit
zu haben. Am Sonntag Morgen erschienen einige SA-Leute auf dem Platz und
erklärten, dass unter keinen Umständen erlaubt werden könnte,
dass Juden im ›deutschen Wald‹ Aufzüge mit jüdischen Fahnen etc.
durchführten, und dass keine Wettkämpfe ausgetragen werden dürften.
... Am nächsten Tag wurde der Vorfall offiziell sehr bedauert – unerlaubter
Übergriff lokaler Organe(!) – und die Erlaubnis erteilt, am nächsten
Sonntag die Veranstaltung in Leipzig auf dem dortigen Barkochba-Platz durchzuführen.
... Eine halbe Stunde nach Beginn der Wettkämpfe fuhr ein Lastwagen
mit SA-Leuten vor, die über den Zaun des Platzes sprangen und mit
Schlägen und Geschrei die Sportler und Funktionäre vom Platz
jagten.” (ROBERT ATLASZ) |
Ab 1934 gab es jedoch deutliche
Rückentwicklungen bei den ausschließenden Maßnahmen zu
verzeichnen. Sie korrespondieren zunächst mit der allgemeinen Abnahme
der ”wilden Aktionen” im Reich und der vergleichsweise entspannten Gesamtlage
jüdischen Lebens in Deutschland, entsprechen vor allem aber auch der
vorolympischen Rücksichtnahme von Sportführung, Innenministerium,
Außenministerium und - sogar der Gestapo. Exemplarisch für die
”Diplomatie” in der Behandlung der Judenfrage steht ein Beispiel aus Remscheid.
Der Nachfrage des Oberbürgermeisters, wie die Stadt sich bei der Vergabe
kommunaler Übungsstätten an jüdische Sportler verhalten
solle, antwortete der Deutsche Gemeindetag: |
”Wie der Herr Reichssportführer
mir kürzlich mitgeteilt hat, liegt eine völlige Verschließung
der Übungsstätten für jüdische Verein nicht in seinem
Sinne. Denn da nach den geltenden Bestimmungen auch Nichtarier zur Beteiligung
an den Olympischen Spielen zugelassen werden müssen, muss ihnen die
Möglichkeit geboten sein, sich auf die Teilnahme an den Olympischen
Spielen genügend vorzubereiten. ... Deshalb hat der Herr Reichssportführer
den Wunsch, dass auf keinen Fall in der nächsten Zeit den jüdischen
Turn- und Sportvereinen und den jüdischen Turnern und Sportlern gegenüber
ein geringeres Entgegenkommen gezeigt werde als bisher. Die Frage, welche
Städte bisher den jüdischen Vereinen entgegengekommen seien,
kann von hier aus leider nicht beantwortet werden...”. |
Insgesamt wurde seit der
Jahresmitte 1934 in der Sportstättenfrage von seiten beider jüdischen
Sportverbände ein vergleichsweise optimistisches Bild gezeichnet.
Der Bar Kochba Hannover schrieb - um allerdings auf eigene Benachteiligung
hinzuweisen - an den dortigen Oberbürgermeister, dass in ”allen großen
Städten Deutschlands ... den jüdischen Sportvereinen wieder städtische
Sportplätze und Turnhallen zur Verfügung gestellt worden” seien.
Eine ähnliche positive Grundtendenz weist auch ein im Sportblatt des
"Schild", der Kraft, erschienener Artikel auf: |
”Der größte
Teil unserer Vereine verfügt über Trainingsstätten, wenn
sie auch ... für einwandfreie Leistungen meistens nicht geeignet sind.
In manchen Sportgruppen stehen auch städtische Hallen zur Verfügung.” |
Zu einem Zeitpunkt etwa
anderthalb Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübernahme sowie
anderthalb Jahre vor dem Beginn der Olympischen Spiele läßt
sich also, zumindest partiell, deren retardierender Einfluss auf die nationalsozialistische
Judenpolitik konstatieren: ”The 'regulations' were needed as an alibi vis-à-vis
the watchful international public”. |
d) Der
Deutsche Makkabikreis im Nationalsozialismus
Gleich in zweierlei Hinsicht
führte der Deutsche Makkabikreis seine bisherigen Entwicklungslinien
auch bzw. gerade angesichts der Machtübernahme des Nationalsozialismus
fort. Zum einen beschwor man - im Mai 1933 - von neuem die nationaljüdischen
Grundsätze aus der Gründerzeit des Bar Kochba Berlin und der
Jüdischen Turnerschaft mit der Devise, die ”physische Erziehung und
Stärkung jüdischer Jugend” gerade jetzt ”mit doppelter Kraft
zu betreiben”, um diese ”zu aufrechten, selbstbewussten, stolzen Juden
zu erziehen, die wissen wohin sie gehören”. Zum anderen brachte man
die im Verlauf der vorangegangenen Jahre und Jahrzehnte sich immer stärker
abzeichnende Zionisierung des Makkabi zu einem konsequenten Abschluss.
War die Rede bereits in den 1920er Jahren von ”Zionisierung” und im Zuge
der Makkabiade 1932 von ”zionistische(r) Stellung des Makkabi” gewesen,
so führte spätestens die Situation im Jahr 1933 dazu, dass der
Deutsche Makkabikreis bei der Definition seiner Haltung zum Zionismus alle
Vorbehalte aufgab und sich fortan als ”integraler Bestandteil der zionistischen
Bewegung” verstand. Die in den ersten Jahren des Nationalsozialismus noch
lange Zeit im Vordergrund stehenden innerjüdisch-weltanschaulichen
Konflikte bestritt der Makkabi aus einer rigoros zionistischen Grundposition
heraus, die ihn - mit den Worten des Vorsitzenden der Z.V.f.D. - zu einem
”Prellbock gegen die Assimilation” machte.
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”Für die jüdische
Jugend, die in diesen Tagen seelische Belastungen nie geahnter Stärke
ertragen muss, gibt es ... nur einen Weg, will sie nicht darauf verzichten,
ihre physische Erziehung und Stärkung mit doppelter Kraft zu betreiben:
hineinzugehen in diejenigen Vereine, die schon immer auf der Grundlage
jüdischen Zusammenschlusses Sport getrieben haben. Mögen auch
noch einzelne deutsche Sportvereine Juden in ihren Reihen - an unsichtbarer
Stelle - dulden, es liegt weder im Interesse dieser Vereine noch im Interesse
der Juden, bei ihnen zu bleiben. Denn eine freie Entwicklung dieser Juden
zu geschlossenen Persönlichkeiten ist dort nicht möglich. ...
Jüdische Sportvereine dürfen nicht Lückenbüßer
sein, gegründet in der Hoffnung, dass recht bald wieder die deutschen
Vereine sich Juden öffnen möchten. Es gilt, unsere jüdische
Jugend mit jüdischen Idealen zu erfüllen und in ihnen den Stolz
auf unser Volk lebendig zu machen, auch zu zeigen, dass die größte
Aufgabe der jüdischen Jugend die Sicherung jüdischer Zukunft
durch Mitarbeit am Aufbau Palästinas ist. Mögen die Alten und
Unbelehrbaren abseits bleiben.” |
Im Umgang mit den nationalsozialistischen
Machthabern wurde der Aufruf Alfred Rabaus, sich im Angesicht des Gegners
ehrlich und mutig zum jüdischen Wesen zu bekennen, allerdings auf
teilweise erstaunliche Art ausgelegt. In einem - bei BERNETT abgedruckten
- Schriftstück des Makkabi-Kreises, dessen Adressat unklar bleibt,
heißt es bezogen auf die vorgeblich gemeinsamen Standpunkte der Rassentrennung
und der Ablehnung der Assimilation: |
”Die Ideen, mit denen
der Makkabi geschaffen und geführt wurde, entsprechen den Grundgedanken
des nationalsozialistischen Deutschlands!”
Da das Schreiben thematisch
auf die Frage der Ordnung des jüdischen Sports in Deutschland abhebt,
könnte es als Instrument der Ranküne gegen den Reichsbund jüdischer
Frontsoldaten durchaus eine taktische Aufgabe erfüllt haben. Es kann
aber auch als bloßer Opportunismus gegenüber dem Nationalsozialismus
ausgelegt werden. |
Sportliche Aktivitäten
des Makkabi Deutschland
Der Schwerpunkt der Makkabi-Arbeit
nach dem 30. Januar 1933 lag anfangs vor allem in der Schaffung der Strukturen
für den Wettkampfsport, also der Ausbildung bzw. Anwerbung von Funktionären,
Trainern, Lehrern und ehrenamtlichen Mitarbeitern, die den regelmäßigen
und kontinuierlichen Ablauf des Sportbetriebs vor allem an solchen Orten
garantierten, an denen es bis dahin noch keine Vereine gegeben hatte. In
den bis heute veröffentlichten Darstellungen ist von diesen Vorgängen
meist nur andeutungsweise und unzusammenhängend die Rede, so dass
auch an dieser Stelle wiederum nur skizzenhaft verfahren werden kann. So
sind weder die oben angesprochenen Vorgänge zur Organisation des regionalen
und kommunalen Sportbetriebs noch die im folgenden darzustellenden Vereins-
und Mitgliederzahlen in extenso zu belegen. In beinahe allen zeitgenössischen
und historischen Veröffentlichungen sind die Angaben widersprüchlich,
was nicht zuletzt auch - dies liegt auf der Hand - auf die in hohem Maße
instabile jüdische Lebenssituation im nationalsozialistischen Deutschland
zurückzuführen ist. |
Vereins- und Mitgliederzahlen
des Deutschen Makkabikreises:
Anfang 1933 |
17 Vereine |
ca. 3.000
Mitglieder |
unbest. Zeitpunkt 1933: |
25 Vereine |
ca. 8.000 Mitglieder |
Anfang 1934: |
55 Vereine |
ca. 14.000 Mitglieder |
unbest. Zeitpunkt 1935: |
136 Vereine |
ca. 21.500 Mitglieder |
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In den Jahren vor 1933 -
dies illustriert insbesondere die autobiographische Darstellung FELIX SIMMENAUERS
- nahmen im Bereich der Leichtathletik des Makkabi vor allem die Laufdisziplinen
eine zentrale Position ein. Auch diese Domäne des Makkabi-Sports geriet
nunmehr zum Opfer der bereits dargestellten Übungsstätten-Notlage
des jüdischen Sports. Da den Vereinen nur in seltenen Fällen
Aschenbahnen zur Verfügung standen, rückten - dies stellt ROBERT
ATLASZ dar - die Mannschaftssportarten Fußball und Handball immer
mehr in den Mittelpunkt der sportlichen Betätigung. |
Nachdem es einen Wettkampfbetrieb
mit paritätischen Vereinen nicht mehr gab und ein Austausch mit Vereinen
des "Schild" erst ab dem Herbst 1934 mit der vom Reichssportführer
verfügten Gründung - hierauf wird noch gesondert einzugehen sein
- des Reichsausschusses jüdischer Sportverbände ermöglicht
wurde, entwickelte der Deutsche Makkabikreis ein ”neues Ligasystem”, das
allen ihm angeschlossenen Vereinen den Sport- und Spielbetrieb untereinander
ermöglichen sollte. Die - endlosen - Berichte des Sport-Blattes
der Jüdischen Rundschau machen in der Retrospektive nachvollziehbar,
dass die rasche Organisation des Spielbetriebs den Verantwortlichen hinlänglich
geglückt ist. |
Die langjährige Mitgliedschaft
und Führungsarbeit des deutschen Kreises im Makkabi-Weltverband garantierte
darüberhinaus die Teilnahme an zahllosen internationalen Wettkämpfen
und ebenso die eigene Ausrichtung dementsprechender Veranstaltungen. Die
oben in puncto Übungsstätten bereits beschriebene Willkür
seitens nationalsozialistischer Instanzen verhinderte im August 1933 auch
die Teilnahme des Makkabi Deutschland am Makkabi-Weltverband-Sportfest
in Prag. Zwischen 1934 und 1936 konnten derartige Reisen dann ”ohne die
Drohung von 1933” problemlos durchgeführt werden. |
Die bedeutungsvollste der
Auslandsreisen führte die deutschen Makkabi-Sportler 1935 nach Tel
Aviv, um mit 200 Athleten, von denen dann einige die Heimreise nicht mehr
mitantraten, an der dort stattfindenden 2. Makkabiah teilzunehmen. In Deutschland
fanden vor jeweils Tausenden von Zuschauern von 1934 an die jährlich
ausgetragenen Makkabi-Hallensportfeste sowie die deutschen Makkabi-Meisterschaften
statt. |
Mit der Einführung
des Numerus clausus an deutschen Schulen und Hochschulen kam dem Makkabi
auch im Bereich der sportlichen Erziehung von Kindern und Jugendlichen
ein neues Mitgliederpotential zu. Dem entsprach die häufige Ausrichtung
von Schul- und Jugendsportfesten sowie von Kindernachmittagen. Jüdische
Jugendorganisationen - so der Verband der jüdischen Jugendvereine
Deutschlands und der Jüdische Pfadfinderbund Deutschlands - begannen
im Herbst 1933 damit, ihre Vereine dem Makkabi zuzuführen. Die dem
Umstand der allgemeinen Auswanderung geschuldete allmähliche Schwächung
des Leistungssports führte dazu, dass auf die Austragung der Leichtathletik-Meisterschaften
seit 1935 zugunsten von Junioren- und Jugendmeisterschaften verzichtet
wurde. |
e) Der
Sportbund „Schild“ im Nationalsozialismus
An anderer Stelle war davon
die Rede, dass der dem Sportbund "Schild" konkurrierende Makkabi-Verband
die Kontinuität seiner 35-jährigen Entwicklung auch nach der
nationalsozialistischen Machtübernahme beibehielt. Anders als der
Makkabi war der "Schild" weder vor noch nach seiner Etablierung als Sportbund
eine autonom handelnde Organisation - seine politisch-weltanschauliche
Position war dementsprechend eng verknüpft mit der der Mutterorganisation,
des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF). |
Der RjF wiederum hatte seine
politische Linie dem Leitgedanken der strikten Assimilation Folge leistend
modifiziert und sich für die Abgrenzung von allen Auswanderungsbestrebungen
sowie die Anpassung an die neuen Verhältnisse entschieden. Die ideologische
Ausrichtung des "Schild" war dem entsprechend: der flächendeckenden
Gründung von "Schild"-Vereinen im Frühjahr 1933 ging zunächst
der Versuch voraus, assimilatorisch gesinnten jüdischen Sportlern
”unter allen Umständen” den Verbleib in ihren Vereinen zu gewährleisten.
Verhandlungen, die seitens des RjF mit Reichssportführer Tschammer
betrieben wurden, endeten offensichtlich nicht mit dem Ergebnis einer Bevorzugung
der assimilatorische Linie unter den jüdischen Sportlern durch die
Reichsregierung. |
Erst zu einem Zeitpunkt,
als ein Widerruf des Arierparagraphen mit letzter Gewissheit auszuschließen
war, rief auch der RjF zur Gründung neuer jüdischer Vereine auf.
Mit dieser Maßgabe und vor dem voranstehend skizzierten Hintergrund
vollzog sich am 30. Mai 1933 die Erweiterung der bis dahin korporativ zum
Reichsbund bestehenden Sportabteilungen zum Sportbund. |
Erstes und vordringliches
Ziel des Sportbundes "Schild" war es nun, zu verhindern, dass der Strom
der ausgeschlossenen Sportler in den Wirkungskreis des antiassimilatorischen
Makkabi-Verbands gelangte. Vor allem die jüdische Jugend war - als
vorrangig angestrebte Zielgruppe - um jeden Preis ”vor einem Abfall in
ein anderes jüdisches Lager zu bewahren”. Leo Löwenstein, in
Personalunion sowohl Bundesvorsitzender des RjF als auch des Sportbundes
"Schild", betonte vielfach die Notwendigkeit der Erziehung junger deutscher
Juden ”im Geiste der Wehrertüchtigung und des Arbeitsdienstes”. Mit
einem fiktiv formulierten, im RjF-Organ Schild veröffentlichten ”Brief
an einen jungen Freund”, der das ”Wie der Zukunft” zum Thema hat, beteiligte
sich am Werben um die jüdische Jugend auch Ernst Fraenkel: |
”Die Wehrhaftigkeit des
Geistes. Das ist es, was wir alten Frontsoldaten als Träger einer
hohen Tradition unserer Jugend geben wollen und geben müssen im Bewusstsein,
dass die starken seelischen und geistigen Kräftequellen dieser Wehrhaftigkeit
nicht verschüttet werden dürfen.” |
Die Ambitionen des Sportbundes
auf dem Gebiet der Jugendpflege führten diesen im Jahr 1934 auch mit
der jüdischen Jugendbewegung zusammen. Bereits zu Beginn des Jahres
vereinbarte der "Schild" die engere Kooperation mit der Jugendgruppe Das
Schwarze Fähnlein, die sich ”in Haltung und Gesinnung mit dem RjF
verbunden” wusste und die auf der so bezeichneten Basis ”die bündische
Erziehung der jungen Menschen” mitgestalten sollte. Mitte 1934 kam es seitens
des "Schild" zu einem weiteren Abkommen mit einer Jugendorganisation. Gemeinsam
mit dem Bund Deutsch-Jüdischer Jugend (BDJJ) arbeitete der Sportbund
des RjF ein Abkommen aus, dessen programmatische Grundlage besagte, ”dass
nur eine geeinte, geistig und körperlich starke deutsch-jüdische
Jugend Träger der Zukunft des deutschen Judentums sein” könne:
Die ”bündische und geistige Erziehung” der Mitglieder des "Schild"
wurde demgemäß dem BDJJ überantwortet, der seinerseits
die Körpererziehung seiner Mitglieder dem Sportbund unterstellte. |
Weitere wichtige Aspekte
der Arbeit des "Schild" lagen auf den Gebieten der Siedlung - in Deutschland
- und der Berufsumschichtung, um, so ULRICH DUNKER, der jüdischen
Jugend ”die Eingliederung in die neuen Verhältnisse in Deutschland
zu ermöglichen und zu erleichtern”. Das zentrale und vorrangige Tätigkeitsfeld
der erzieherischen Arbeit des "Schild" jedoch lag unzweifelhaft im sportlichen
Bereich. |
Sportliche Aktivitäten
des "Schild"
Die Errichtung elementarer
Strukturen für einen Trainings- und Wettkampfbetrieb mag anfangs für
den Sportbund "Schild" ob seiner - gemessen am Makkabi-Verband - vergleichsweise
'traditionslosen' Sportvergangenheit eine noch komplexere Aufgabe gewesen
sein, als sie es für den Makkabi war. Zu belegen ist dies allerdings
schwerlich, denn die Darstellungen und Überlieferungen zur Genese
des "Schild" halten sich, verglichen mit jenen zur Historie des Makkabi,
in äußerst bescheidenen Grenzen. Prompt und wirkungsvoll wurde
in jedem Fall der Aufforderung zur Neugründung von Sportgruppen entsprochen,
die noch am 30. Mai 1933, dem Gründungstag des Sportbundes, seitens
des RjF-Sportdezernenten Walter Beck an die Ortsverbände erging. |
Vereins- und Mitgliederzahlen
des Sportbundes "Schild": |
Mai 1933: |
wenige Sportgruppen |
unbek. Mitgliederzahl |
Ende 1933: |
90 Vereine |
ca. 7.000 Mitglieder |
unbest. Zeitpunkt 1934: |
156 Vereine |
ca. 17.000 Mitglieder |
unbest. Zeitpunkt 1935: |
197 Vereine |
ca. 20.000 Mitglieder |
Juli 1936: |
216 Vereine |
ca. 21.000 Mitglieder |
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Entsprechend der bislang
aufgezeigten Entwicklung des deutschen und jüdischen Sports waren
die Vereine des Sportbundes "Schild" zunächst darauf angewiesen, einen
eigenen, verbandsinternen Sportbetrieb zu entwickeln. In den traditionellen
(Abwehr-) Sportarten des "Schild" ebenso wie in den Massensportarten wurden
regionale Wettkämpfe und reichsweite Meisterschaften ausgetragen.
PAUL YOGI MAYER, in jener Zeit RjF-Jugenddezernent, berichtet rückblickend: |
”The range was extremly
wide and even horse-riding, cycling and mountaineering were among the many
popular pursuits, and some of the Jewish clubs near Berlin organised a
Regatta in which a number of eights participated. There were thirty-five
tennis sections with 120 tennis courts at their disposal, and the boxers
had their own twenty-three clubs.” |
Über den ausgedehnten
Wettbewerbsbetrieb unter den Vereinen des Sportbundes wurde, besonders
auf die Mannschaftssportarten Handball und Fußball bezogen, in erschöpfendem
Maße in der Sport-Beilage Die Kraft des RjF-Organs
Schild
sowie im Sportblatt der C.V.-Zeitung berichtet. |
Anders als im Makkabi-Verband,
wo die Sportler sich auf regelmäßige internationale Wettkämpfe
mit Sportlern anderer Makkabi-Verbände vorbereiteten, und wo die bloße
Aussicht auf eine Teilnahme an der 2. Makkabiah die Aktiven schon Monate
vor der eigentlichen Veranstaltung dazu motivierte, im Training bis an
ihre körperlichen Leistungsgrenzen zu gehen, fehlte eine derartige
Perspektive den Sportlern und Funktionären des Sportbundes "Schild".
Über den verbandsinternen Wettkampf- und Spielbetrieb hinausgehend
gab es für die ambitionierten unter den "Schild"-Athleten nur ein
einziges reelles sportliches Ziel: die Teilnahme an den Olympischen Spielen
1936. Über die vermeintlichen Chancen jüdischer Sportler, sich
für die deutsche Olympia-Mannschaft zu qualifizieren, wird an anderer
Stelle noch zu berichten sein. |
f) Das
wechselseitige Verhältnis der jüdischen Sportverbände
Zum gegenseitigen Verhältnis
von Makkabi und "Schild" sind in der voranstehenden Abhandlung bereits
einige wesentliche Aspekte zur Sprache gekommen, die den politisch-weltanschaulichen
Antagonismus der beiden Lager kennzeichnen. |
Während gleichermaßen
die angeschlossenen bzw. die nahestehenden Publikationsorgane zum Schauplatz
heftiger gegenseitiger Polemiken wurden, herrschte im sportlichen Bereich
absolute "Funkstille". Erst die Gründung des Reichsausschusses jüdischer
Sportverbände, die nachstehend Darstellung findet, vermochte die Auseinandersetzungen
weitestgehend zu entschärfen und - wie es bei BERNETT heißt
- den ”Sportfrieden” wiederherzustellen. |
Der Reichsausschuss jüdischer
Sportverbände
Das an anderer Stelle beschriebene,
aus historischer und emotionaler Distanz betrachtet grotesk anmutende Bild
innerjüdischen Widerstreits vor der Folie einer sich bereits abzeichnenden
Katastrophe charakterisierte die gesamtjüdische Lage im Jahr 1933,
bevor es im September jenes Jahres zur Gründung der Reichsvertretung
der deutschen Juden gekommen war. Auf der Mikroebene des Sports verhielt
es sich unterdes nicht anders, auch wenn hier bei 'lediglich' zwei vorhandenen
antagonistischen Strömungen die Fronten deutlich klarer waren. Obwohl
gerade im Bereich des Sports - potenziert durch den Zustand der Isolation
- jede einzelne neue Wettkampfmöglichkeit buchstäblich existentiellen
Wert besitzen musste, sollte es bis zum Herbst 1934 dauern, bis es zu einer
Verständigung kam und somit die Möglichkeit gemeinsamer Wettkampfpraxis
geschaffen wurde. |
Die Initiative für
die Gründung des Reichsausschusses jüdischer Sportverbände
lässt sich - und dies ist bezeichnend für die "Zielstrebigkeit"
der beteiligten Verbände - weder auf ihr Datum, noch auf ihre Urheberschaft
bezogen, genau rekonstruieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit geschah
sie aber auf Anordnung der Reichssportführung; bekanntgegeben wurde
die Gründung am 21. September 1934. In der Literatur wird die - verfügte
- Gründung des Reichsausschusses auch als Geste der Nationalsozialisten
gegenüber dem Ausland im allgemeinen, sowie gegenüber den kritischen
amerikanischen Sportfunktionären im speziellen dargestellt. |
In jedem Fall erwies sich
die Etablierung des Reichsausschusses als Positivum für den jüdischen
Sport. Sofort nach der Gründung wurde der Plan einer ersten Sportbegegnung
zwischen "Schild"- und Makkabi-Sportlern entworfen und später dann
auch durchgeführt. Es kam zu einer schrittweisen Annäherung der
Lager, noch 1934 wurden an mehreren Orten einzelne Spiele und Wettkämpfe
ausgetragen, bevor dann 1935 erstmals auch Treffen zwischen Auswahlmannschaften
des Makkabi und des "Schild" stattfanden. |
Dass die sportliche Kooperation
der Verbände deren weltanschauliche Gegensätze jedoch nicht immer
und nicht vollständig zu überbrücken vermochte, zeigt die
Berufung eines Schiedsgerichts zur ”Schlichtung sportlicher Differenzen”
durch den Reichsausschuss, welches - so Bernett - auch durchaus stark beschäftigt
war und 1937 sogar um ein Oberstes Schiedsgericht des jüdischen Sports
ergänzt wurde. Ein Beispiel für die Unentbehrlichkeit einer höheren
unparteiischen Instanz wird untenstehend ausgeführt. |
Die Tätigkeit des Reichsausschusses
jüdischer Sportverbände, die anerkanntermaßen zur ”Konsolidierung
des jüdischen Sports” beitragen konnte, umfasste Verhandlungen mit
der Reichssportführung und anderen Behörden, Planung und Veranstaltung
von sportlichen Wettbewerben, aber auch die pädagogische Schulung
von Trainern und Sportlehrern. Letzteres wiederum trug - bei ständig
zunehmender Verdrängung der jüdischen Schüler aus öffentlichen
Schulen - in immer erheblicherem Maße zur Unterstützung des
jüdischen Schulwesens bei. In Zusammenarbeit mit der Reichsvertretung
der deutschen Juden richtete der Reichsausschuss sportpädagogische
Lehrgänge mit der Zielsetzung aus, dem ”bestehenden Mangel an geprüften
jüdischen Turn- und Sportlehrern abzuhelfen und außerdem jüdischen
Sportlern die Möglichkeit einer Abschlussprüfung und einer neuen
Erwerbsmöglichkeit zu schaffen”. |
Erneuter Abbruch der
Beziehungen zwischen Makkabi und "Schild"
Im Mai 1936 ereignete sich
ein Vorfall, der, nachdem sich das Verhältnis über anderthalb
Jahre zunehmend entspannen konnte, eine erneute Krise in den Beziehungen
der Verbände nach sich zog. Nach antizionistischen Demonstrationen
im Verlaufe eines Handballspiels erließ der Makkabi ein Startverbot
gegen die beteiligte Mannschaft des "Schild", woraufhin dieser bis auf
weiteres den Spielverkehr mit dem Makkabi-Verband abbrach. Erst ”lange
Verhandlungen” vor dem Schiedsgericht des Sportausschusses konnten die
Wogen glätten, wobei zwischen dem ursächlichen Vorfall und der
Beilegung des Streits vier Monate - und: die Olympischen Spiele - ins Land
gegangen waren. |
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1936:
Der deutsche jüdische Sport und
die "Spiele unter
dem Hakenkreuz" |
"Zum
Sportereignis des Jahres"
Titelzeile des Schild
zu den Leichtathletik-Reichsmeisterschaften des RjF-Sportbundes im Juli
1936 |
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Die Ausrichtung der Olympischen
Spiele 1936 war von Hitler, wie an anderem Ort dargestellt, schon frühzeitig
zur Staatsangelegenheit erhoben worden. Zu ihrer Durchführung - in
der bisherigen Geschichte der Olympischen Spiele war dies ohne Beispiel
- setzte der NS-Staat ”seine ganzen finanziellen und personellen Ressourcen”
ein. Von Anbeginn an diente das - für viele Zeitgenossen durchaus
überraschende - olympische Engagement der Nationalsozialisten einem
vorrangigen Ziel: in der Weltöffentlichkeit für das „neue“ Deutschland
zu werben und - so Hitler am 10. Oktober 1933 - ”die Weltmeinung für
sich zu gewinnen”. Dass diese ”Weltmeinung” - im Sinne eines olympischen
Propagandaerfolgs - in erster Linie in den USA zu suchen und auch zu finden
war, hat 1972 ARND KRÜGER belegt. Von der Teilnahme der Vereinigten
Staaten hingen letztlich, dies schätzte man sowohl seitens des Propagandaministeriums
als auch des deutschen Organisationskomitees entsprechend ein, zu einem
großen Teil das Gelingen und das Ansehen der Olympischen Spiele des
Jahres 1936 ab. |
Der Perspektive der vorliegenden
Arbeit nachkommend, sollen im folgenden diejenigen - und nur diejenigen
- Aspekte der internationalen Olympia-Boykottbestrebungen vertieft werden,
die sich spürbar auf die nationalsozialistische Judenpolitik und hier
auf den Bereich des Sports ausgewirkt haben. |
a) Internationale
Olympia-Boykottbestrebungen
Der Makkabi-Weltverband beschloss
im September 1935, kurz nachdem die sogenannten "Nürnberger Gesetze"
verkündet worden waren, nicht an den Olympischen Spielen 1936 teilzunehmen.
Von Boykott war namentlich nicht die Rede, jedoch hieß es in einem
Schreiben an IOC-Präsident Baillet-Latour: |
”We certainly do urge
all Jewish sportsmen, for their own self-respect, to refrain from competing
in a country where they are discriminated against as a race and our Jewish
brethren are treated with unexampled brutality”. |
Die Resolution war - schon
alleine wegen zu befürchtender Repressalien der Nationalsozialisten
- bei Stimmenthaltung der deutschen Delegation beschlossen worden. |
1. Europa
Die verschiedenen Befürworter
eines Boykotts der Olympischen Spiele 1936 rekrutierten sich in Europa
vorwiegend aus Kreisen der politischen Linken, der deutschsprachigen Emigration
- vor allem in Amsterdam und Paris -, sowie der Katholiken und Juden. Keine
dieser Gruppen hatte jemals die Chance, die Meinung nationaler Sportverbände
oder gar der Nationalen Olympischen Komitees, geschweige denn des IOC positiv
zugunsten einer politisch motivierten Absage der Olympiateilnahme zu beeinflussen.
Und anders als etwa 1980 und 1984 griff - ungeachtet politischer Systeme
- keine nationale Regierung in die Entscheidung der Sportverbände
und der Olympischen Komitees zugunsten einer Boykottentscheidung ein. Einzige
Ausnahme: die junge spanische Republik. Nachdem der - aus organisatorischer
Perspektive - reibungslose Verlauf der Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen
den Misserfolg der Boykottbewegung an den Tag gelegt hatte, wurde, als
alternative Boykottstrategie, unter Federführung des spanischen Arbeitersports
die Gegenolympiade von Barcelona projektiert. |
2. USA
Die - vermutlich - einzige
reelle Chance, die Durchführung der Olympischen Spiele von Garmisch-Partenkirchen
und Berlin entscheidend zu beeinträchtigen oder sogar zum Scheitern
zu bringen, ging von amerikanischem Boden aus. Bevor die Amateur Athletic
Union of the United States (AAU) im Dezember 1935 anlässlich ihrer
Jahresversammlung definitiv über die Frage der US-amerikanischen Olympiateilnahme
abstimmte, hatte sich seit Beginn des Jahres 1933 der amerikanische Amateursport
zunehmend in zwei Lager gespalten. Der Konflikt konnte gedeihen, weil zwei
der Spitzenfunktionäre des US-Sports entgegen der Erwartungen und
'Gepflogenheiten' sich als Befürworter des Olympiaboykotts herausstellten.
Dies war, zum einen, mit Commodore Ernest Lee Jahncke das einzige IOC-Mitglied
überhaupt, das einem Boykott zustimmte; zum anderen handelte es sich
um Jeremiah T. Mahoney, den Präsidenten der AAU. Insbesondere Mahoney
nahm die Berichte über die täglichen Ereignisse in Deutschland
beim Wort und verhielt sich dementsprechend. |
In den Reihen des American
Olympic Committee (AOC) standen - neben Mahoney - weitere Boykottbefürworter.
Schon frühzeitig, 1933, hatte das Komitee auf die nationalsozialistische
Machtübernahme mit dem Erlass einer Anti-Nazi-Resolution reagiert.
Als 1934 der Präsident des AOC, Avery Brundage, seinen Kollegen im
Ausschuss die amerikanische Olympiateilnahme mit der Begründung nahelegte,
dass an den deutschen Zusicherungen von Wien und Athen nichts auszusetzen
sei, entgegnete Mahoney: |
”The Nazis trampled upon
the fundamental Olympic principles of fairness and equality” - und - ”that
the U.S.’s absence from Berlin would prevent American athletes from sacrificing
these principles and provide a clear message to the German population that
its government’s policies were viewed with disdain”. |
Das AOC vertagte die Zusage
erneut. Brundage versteifte sich - so RICHARD MANDELL - für die Folgezeit
auf die zwei Grundsätze, dass erstens die Deutschen zu ihrem Wort
stünden, ”sich anständig zu Verhalten” und zweitens jeder Opponent
der Olympiateilnahme ”zum Schweigen gebracht” werden müsse - letzteres
nach der von ihm zeitlebens vertretenen Devise, dass Sport und Politik
nichts miteinander zu tun hätten. In unwiderruflich scharfe Gegenpositionen
geraten, blieben Mahoney und Brundage fortan die Hauptfiguren des inneramerikanischen
Streits um die US-Olympiateilnahme 1936. |
Die Deutschland-Mission
des Avery Brundage
Auf der Athener IOC-Tagung
hatten im Mai 1934 die deutschen Mitglieder ihre im Jahr zuvor getätigte
Zusage, dass jüdische Athleten bei entsprechenden Leistungen in das
deutsche Olympiateam eintreten könnten, wiederholt. Auf die Nachricht
vom erneuten Aufschub der Olympiazusage seitens des AOC reagierte die Reichssportführung
mit der offiziellen und vehement verkündeten Nominierung von 21 jüdischen
Sportlern für die deutschen Olympiaausscheidungen. Das American Olympic
Committee entsandte daraufhin seinen Präsidenten, der Deutsch weder
sprechen noch lesen konnte, zu einer ”fact-finding tour” nach Deutschland.
Brundage traf - im Berliner Hotel Kaiserhof - in einer Sitzung, an der
auch Arno Breitmeyer - dezidiert antisemitischer Stellvertreter Tschammers
- und Sigfrid Edström, Vizepräsident des IOC, teilnahmen, mit
drei Delegierten der jüdischen Sportverbände zusammen, um die
Perspektive der Betroffenen kennenzulernen. Einer der Beteiligten war ROBERT
ATLASZ: |
”Mr. Brundage kam mit
einem dicken Aktenpaket zu dieser Sitzung, in dem Berichte über alle
möglichen Vorfälle enthalten waren, die sich in den früheren
Monaten gegen jüdische Sportler und Organisationen ereignet hatten.
Und seine Fragen waren zum Teil recht gut fundiert. ... Unsere Vertreter
konnten verschiedene Fragen und Tatsachen nicht frei und wahrheitsgemäß
beantworten, da sie die scharfe Einstellung von Breitmeyer kannten. Wir
mussten zugeben, dass man uns einen allgemeinen Sportbetrieb interner Art
erlaubte, trotz mancher Zwischenfälle und Schikanen, aber das Wesentlichste
der ganzen Unterredung, die deutlich Brundages Absichten und seine Einstellung
charakterisierten, war seine Frage an uns: 'Können Juden Mitglieder
in einem deutschen Sportverein sein?' (Und dies, nachdem ihm das ganze
Material in seinem Aktenstück bekannt war). Als unsere Vertreter und
der Naziführer das verneinten, sagte Brundage ganz trocken: 'In my
club in Chicago Jews are not permitted either'. Dies zeigte uns ganz klar,
in welche Richtung er steuerte.” |
”Weitere Frage: 'Wenn
ein jüdischer Sportler 100 m in 10,3 Sek. läuft, kann er dann
an der Olympiade teilnehmen?' Wir: 'Wie soll er das machen, ohne die Möglichkeit
zum Training zu haben?' Reichssportführer: 'Wir lassen ihn antreten'.
Brundage: 'Aber er hat doch keine Möglichkeit zum Training!' Reichssportführer:
'Wir werden dafür sorgen, dass auch unter den jüdischen Sportlern
die Auswahl für die deutsche Mannschaft zur Olympiade vorgenommen
wird'. Frage: 'Also kann er teilnehmen?' Antwort: 'Jawohl'.” |
Der von Brundage nach seiner
Rückkehr dem American Olympic Committee vorgetragene Bericht über
die Lage in Deutschland - ”the German Jews were satisfied with their treatment
from a sports point of view” - war in Wirklichkeit eine Farce, denn die
Beurteilung der Fakten, die er dem AOC am 26. September 1934 in 90 Minuten
referierte, hatte er bereits vor seiner Abreise schriftlich niedergelegt. |
Genau dieser Bericht aber
war das ausschlaggebende Moment dafür, dass das Komitee seine bisherige
Haltung aufgab und der Teilnahme an den Spielen zustimmte. Mit der Zustimmung
des AOC war - dies wusste in Amerika zu jenem Zeitpunkt freilich niemand
außer Brundage - die eigentliche Entscheidung bereits so gut wie
gefallen. Schon bevor nämlich im Rahmen der eingangs erwähnten
Versammlung der Amateur Athletic Union im Dezember 1935 die Delegierten
der Sportverbände in demokratischer Abstimmung über die US-Olympiateilnahme
entschieden, hatte Brundage - von Teilen der amerikanischen Presse nunmehr
als ”Nazi” bezeichnet - in geheimer Absprache mit Sigfrid Edström
und Henri de Baillet-Latour erreicht, dass das IOC-Reglement, welches für
die US-Teilnahme das Votum der AAU erforderte, im Ernstfall außer
Kraft gesetzt worden wäre. |
Brundage selbst beschrieb
das Ziel seiner Intrige vertraulich als ”Todesstoß für die AAU”.
Als Verfasser einer antisemitischen Broschüre bewies Brundage später
- 1935 - auch öffentlich, dass es ihm - so ARND KRÜGER - ”nicht
um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Juden in Deutschland ging,
sondern darum, Olympische Spiele möglichst ungestört in Deutschland
feiern zu können”. |
b) Die
Olympiaqualifikation deutscher Juden: Ende der Genese des dt. jüdischen
Sports
Als direkte Reaktion der
Reichssportführung auf die Brundage-Visite erging in der ersten Oktoberwoche
1934 an mehrere Sportlerinnen und Sportler des Makkabi und des "Schild"
die Einberufung zum Lehrgang des Reichssportführerrings, der vom 12.
bis 14. Oktober in Ettlingen, der deutschen olympischen "Kaderschmiede"
stattfand. Aus sportlicher Perspektive war diese Entwicklung durchaus folgerichtig,
denn zu jenem Zeitpunkt konnten einige der Sportler von Makkabi und "Schild"
mit Leistungen aufwarten, die den olympischen Normen entsprachen. Aus historischer
Perspektive hatte der Lehrgang indes zukunftweisenden Charakter für
die weitere Entwicklung des jüdischen Sports in Deutschland, denn
dessen Genese hatte - wie sich herausstellen sollte - in der Zeit zwischen
Herbst 1934 und Sommer 1935 bereits ihren Zenit erreicht. |
Schon die - letztlich noch
inhaltslosen - Versprechungen der Reichssportführung vom Juni, 21
Athleten zu Olympialehrgängen einzuladen, hatten vor dem Hintergrund
einer 1934 deutlich spürbaren Konsolidierung im Bereich des Sports,
für große Zuversicht nicht nur bei den 21 namentlich genannten,
sondern bei allen mehr als 40.000 jüdischen Sportlern in Deutschland
gesorgt. Die Gründung des Reichsausschusses jüdischer Sportverbände
und der - am 5. Oktober veröffentlichte - Erlass staatlich verbriefter
Richtlinien zur Sportausübung waren dazu angetan, denjenigen Aktiven,
die nicht ohnehin 'auf dem Sprung' in die Emigration standen, das trügerische
Gefühl einer neu entstehenden Sicherheit und Gesetzlichkeit zu vermitteln. |
Über den 'Tellerrand'
des Sports hinweg war der Anschein der Konsolidierung ebenfalls nicht zu
übersehen. Vielen war die politische Dimension des Todes von Hindenburg
nicht präsent, viele Juden empfanden die so genannte Röhm-Revolte
gar als Erleichterung und wähnten sich außerhalb der Schusslinie
des Jahres 1933. Und so fort. Die Liste der vordergründig Optimismus
verbreitenden Fakten wäre zu verlängern. In jedem Falle ist sie
Teil der Wirklichkeit eines jeden Juden, der, egal warum, die Entscheidung
getroffen hatte, seine Perspektive in Deutschland zu sehen. |
Aber zurück zum Ettlinger
Lehrgang. Die Öffnung eines hochrangigen deutschen Olympiastützpunktes
für jüdische Athleten begriffen diese in ihrer Gesamtheit durchaus
als "Licht am Ende des Tunnels". Für sie stellte die Verheißung
der Teilnahme am vorolympischen, vielleicht am olympischen Wettbewerb einen
Schritt dar, der ein Schritt zurück zur Emanzipation und zur Assimilation
sein konnte. Die Erwartungen der jüdischen Athleten, nach vielen Monaten
der Aussperrung und Isolation und Improvisation nun mit besseren Sportlern
unter besseren Bedingungen konkurrieren zu können, waren hoch gesteckt
- und doch erfüllten sie sich nicht. Der deutsch-jüdische Sport-Alltag,
die strikte "Trennung zwischen Deutschen und Juden" herrschte auch in Ettlingen
vor: Die jüdischen Sportler durften das Übungsgelände dann
betreten, wenn die deutschen Sportler austrainiert hatten - eine Möglichkeit
zu direktem Leistungsvergleich gab es nicht, die sportliche Perspektive,
die der Sichtungslehrgang für die jüdischen Teilnehmer bot, war
mithin gleich null. |
Die unzulänglichen
Trainingsbedingungen in ihren Vereinen, das Fehlen gezielter sportpädagogischer
Betreuung, der Mangel an ernsthafter Wettkampfpraxis - alle ungleichen
Voraussetzungen, die die jüdischen Athleten mitbrachten, konnten nicht
durch einige - isolierte - Trainingstage im Olympiastützpunkt Ettlingen
wettgemacht werden. Und mehr als einige Trainingstage waren - vom Standpunkt
der Reichssportführung aus - gar nicht erforderlich, um der Weltöffentlichkeit,
sprich: dem IOC und dem AOC, zu demonstrieren, dass die gegebenen und mehrfach
wiederholten Zusagen von deutscher Seite auch eingehalten würden.
Die bloße Tatsache der jüdischen Isolation konnte - amerikanischerseits
- auf der Basis des vom obersten US-Gericht festgeschriebenen Grundsatzes
der Rassendiskriminierung - separate but equal - ausgelegt werden. |
Vom noch darzustellenden
Ausnahmefall einer einzelnen Sportlerin abgesehen, hatte sich die olympische
Perspektive des jüdischen Sports, ohne dass es hierzu noch besonderer
Manipulationen im sportlichen Bereich bedurfte, spätestens im Sommer
1935 von selbst erledigt. Mit der Einladung zu Sichtungslehrgängen
in deutschen Olympiastützpunkten war das Höchstmaß an staatlichen
Zugeständnissen, das dem jüdischen Sport in Deutschland zukommen
sollte, erreicht. Auch das Bestehen eigener Richtlinien, und die formelle
Zulassung der Vereine suggerierten staatliche Anerkennung, verstanden sich
aber ebenso wie die Einladungen zu Lehrgängen als Zugeständnisse
im Sinne 'vorolympischer Diplomatie'. |
c) Der
Fall Gretel Bergmann
”Worried critics”, die sich
1935 nach dem Leistungsstand jüdischer Sportler in Deutschland erkundigten,
wurde beschieden, dass keiner der in Frage kommenden Athleten olympiareifes
Niveau erreicht habe. Dies entsprach auch durchaus - siehe oben - den Erkenntnissen
der jüdischen Sportler selbst. Eine Hochspringerin jedoch, Gretel
Bergmann, übertraf die Leistungen, die zu erbringen jüdische
Athleten den Umständen entsprechend in der Lage waren, bei weitem: |
”Gretel Bergmann proved
to be a kind of 'Probable' while most of us presented a talented pool of
'Possibles', to use English selector terms” (PAUL YOGI MAYER) |
Die sportlichen Ergebnisse,
die Gretel Bergmann erzielen konnte, blieben die ganze olympische Vorbereitungsphase
hindurch unanfechtbar. Es gelang ihr, sich für die olympische Kernmannschaft
im Hochsprung zu qualifizieren. Auch hier zeigte sie sich den Mitkonkurrentinnen
als ebenbürtig. Im Jahr 1935 hatte sie - in ihrer Eigenschaft als
Mitglied eines jüdischen Verbands - für die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften
keine Starterlaubnis erhalten, woraufhin sich Jeremiah T. Mahoney in einem
offenen Brief an Theodor Lewald unter anderem auf ihren Fall bezog und
um Aufklärung verlangte. In der Folgezeit - so ARND KRÜGER -
empörten sich die ”amerikanischen Zeitungen ... bei jeder Gelegenheit
über die Behandlung von Gretel Bergmann”. |
Im Herbst 1935 wurde sie
in der Rangliste der deutschen Hochspringerinnen als Nummer sechs geführt.
Maximal drei Kandidatinnen konnten für die Olympiateilnahme gemeldet
werden, so dass man auf deutscher Seite davon ausging, den Widerspruch,
in dem die ersten Ausführungsbestimmungen der Nürnberger Gesetze
zur repräsentativen Teilnahme einer - lt. Gestapo-Bericht - ”reinrassische(n)”
jüdischen Sportlerin standen, vernachlässigen zu können. |
Am 27. Juni 1936 gewann
Gretel Bergmann den Hochsprungwettbewerb bei den Württembergischen
Meisterschaften in Stuttgart, was, wie man ihr seitens der Reichssportführung
versichert hatte, als vollwertige Olympiaqualifikation angesehen wurde.
Die jüdische Sportlerin egalisierte mit der erreichten Höhe von
1,60 m die deutsche Jahresbestleistung und gehörte, an der Leistung
gemessen, zu den drei besten deutschen Hochspringerinnen. Am 15. Juli verließ
das Schiff mit der amerikanischen Olympiamannschaft New York. Vom 16. Juli
datiert das Schreiben des DRL, Fachamt Leichtathletik, in dem Gretel Bergmann
ihre Nicht-Berücksichtigung für die am 1. August beginnenden
Spiele mitgeteilt wird. Unter anderem heißt es: |
”Nur drei Aktive konnten
in jedem Wettbewerb - ausgenommen die Staffel - berücksichtigt werden.
Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst
nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben.” |
Der von Gretel Bergmann
benachrichtigte Vertreter des Reichsausschusses jüdischer Sportverbände,
der sofort Beschwerde bei Tschammer einlegte, hatte sich fortan zweimal
täglich bei der politischen Polizei zu melden, ”damit er mit der Nachricht
nicht Deutschland verlassen konnte”. |
Mit der Absicht, fortan
”nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen", wendete sich
Bergmann noch während der Olympischen Spiele an den Konsul der USA
in Stuttgart. Im Mai 1937 emigrierte sie. |
d) Die
„Alibijuden“ in der deutschen Olympiamannschaft
Die Beantwortung der Frage
nach jüdischen Sportlern im deutschen Olympiateam folgte zwei "weltanschaulichen"
Prämissen. Der Ur-Devise Hitlers entsprach, Punkt eins, die strikte
"Trennung zwischen Juden und Deutschen". Deren feinere Differenzierungen
wiederum waren, Punkt zwei, Gegenstand der ersten Ausführungsbestimmungen
der "Nürnberger Gesetze". In den deutschen Olympiaaufgeboten für
Garmisch und Berlin standen zwei nach deutscher Rassengesetzgebung als
"Halbjuden" zu bezeichnende Athleten: der Eishockeyspieler Rudi Ball für
die Winterspiele, die Fechterin Helene Mayer für die Sommerspiele.
Für beide gilt gleichermaßen, dass sie weder zu irgendeinem
Zeitpunkt Mitglied in einem der jüdischen Sportvereine in Deutschland
waren, noch sonst in irgendeiner Weise etwas mit dem jüdischen Sport
zu tun hatten. In der amerikanischen Boykott-Kontroverse wurde Helene Mayer
jedoch zur Schlüsselfigur in der olympischen "Judenfrage" stilisiert. |
Verschiedene Berichte aus
Deutschland über Diskriminierungen jüdischer Bürger und
jüdischer Sportler - insbesondere im Einflussbereich Julius Streichers
- ließen ein Jahr nach der Brundage-Inspektion in den USA erneut
öffentliche Zweifel an den deutschen Bekenntnissen von Wien 1933 und
Athen 1934 aufkommen und hatten die Boykottbewegung - seit Juli - zunehmend
verstärkt. |
Ein dezidierter Befürworter
der US-Teilnahme an den Olympischen Spielen war das amerikanische IOC-
und AOC-Mitglied Charles H. Sherrill. Sein haupsächliches Anliegen
war es, an die - bislang uneingelösten - Versprechungen des Reichssportführers
zu erinnern, die eine Berufung der Fechterin Helene Mayer in das deutsche
Olympiateam in Aussicht gestellt hatten. Mit dem Vorsatz, den Boykottdrohungen
entgegenzuwirken und ”wenigstens einen Juden in die deutsche Olympiamannschaft
zu bekommen”, fuhr er im August 1935 nach Deutschland, um Hitler zu treffen.
Zu der Unterredung bemerkt - 1972 - ARND KRÜGER, dass Sherill hier
”zum erstenmal hinter die Kulissen des Dritten Reiches blicken” konnte. |
Dem oben angedeuteten Vorsatz
entsprechend hatte Sherrill Hitler darauf hingewiesen, dass die Hereinnahme
eines jüdischen Sportlers in direktem Zusammenhang mit der Teilnahme
der amerikanischen Mannschaft an den Spielen stehe. Auf die in Wien und
Athen gegebenen Zusagen der - vom Innenministerium gestützten - deutschen
IOC-Delegierten angesprochen, erwiderte Hitler, dass diese sich auf die
Möglichkeit bezogen habe, Juden in ausländischen Mannschaften
an den Spielen teilnehmen zu lassen. Die Möglichkeit, Juden in das
deutsche Team aufzunehmen ”würde schon an der Tatsache scheitern,
dass in Deutschland eine völlige Trennung zwischen Juden und Deutschen
hergestellt sei.” Den daraufhin von Sherrill erhobenen Einwand, das IOC
könne bei einem Festhalten an diesem Standpunkt die Spiele an einen
anderen Austragungsort verlegen, konterte Hitler unmissverständlich:
”Sollten ... die Spiele aus Deutschland verlegt werden, so würde auch
dies nichts ... ändern, man würde dann eben rein deutsche Olympische
Spiele veranstalten.” |
Über Geisteshaltung
und Inkompetenz Hitlers gleichermaßen verblüfft, schrieb Sherrill
an den IOC-Präsidenten: |
”Ganz vertraulich ...
ersuche ich Sie, mit dem Schreiben des Innenministeriums zum 'Führer'
zu gehen. Dort erwartet Sie der schwerste Schock Ihres Lebens! Es wird
eine harte Prüfung für Ihre beachtliche Zurückhaltung und
Lebensart, doch je eher Sie die Angelegenheit in die Hand nehmen, um so
besser und sicherer können Sie einen vernichtenden Knall verhüten.” |
Noch bevor aber Baillet-Latour
der Empfehlung Sherrills nachkommen konnte, war Hitler vom RMI "bereits"
über den Inhalt jener Deklaration aufgeklärt worden, die im Juni
1933 für die pro-deutsche Entscheidung des IOC verantwortlich war.
Er ließ Sherrill informieren, ”dass Deutschland demnach die olympischen
Bestimmungen in jeder Weise beachtet”. Von Hitler zum Nürnberger Parteitag
eingeladen, konnte Sherrill seinen viertägigen Aufenthalt zu weiteren
Verhandlungen mit Tschammer nutzen. Am 14. September, dem Tag vor der offiziellen
Bekanntgabe der Rassengesetze, berichtet Sherrill in einem Schreiben an
Marguerite Lehand, der persönlichen Sekretärin Roosevelts, dass
seiner Aufforderung, einen jüdischen Athleten zu berufen, entsprochen
werde. Indes geht aus der weiteren Ausführung Sherrills sein vorgeblicher
”pro-Jewish outlook” nicht gerade in zwingender Deutlichkeit hervor: |
”I went to Germany for
the purpose of getting at least one Jew on the German Olympic team and
I feel that my job is finished. ... I would have no more business discussing
that in Germany than if the Germans attempted to discuss the Negro situation
in the South or the treatment of the Japanese in California.” |
Datiert vom 24. September
1935 erging ein Schreiben des Reichssportführers an Helene Mayer,
laut dessen sie ”Bejahenden Falles ... als Mitglied der deutschen Auswahlmannschaft”
angesehen wird. Sherrill hatte Tschammer den Rat gegeben: ”Schicken Sie
den Brief per Einschreiben. Ob sie dann annimmt oder nicht, Deutschlands
offizieller Reichssportführer hat die Prinzipien des IOC respektiert.” |
Helene Mayer nahm an. Der
von ihr formulierten Bedingung, ”jedoch ... nur als deutsche Staatsbürgerin
für Deutschland kämpfen” zu können entsprachen, freilich
ohne dass Mayer dieses wissen konnte, aus umgekehrter Perspektive aufs
genaueste die eingangs angesprochenen 'weltanschaulichen Prämissen'
des Regimes als Grundvoraussetzung einer Olympiateilnahme: Trennung von
Deutschen und Juden unter allen Umständen. |
Bevor, wie erwähnt,
am 8. Dezember 1935 die Jahresversammlung der Amateur Athletic Union of
the United States in New York über die ”Issue of Participation” abstimmte,
erreichte Helene Mayer am 2. Dezember per Telegramm die Mitteilung, dass
sie als Halbjüdin deutsche Staatsbürgerin sei. Die Teilnahme
der "Jüdin" an den Olympischen Spielen 1936 war damit offiziell. Nur
sechs Tage darauf erfolgte dann die Teilnahmebestätigung für
die amerikanische Olympiamannschaft. Nachdem Jeremiah Mahoney zuvor lange
Zeit auf den in Deutschland allgegenwärtigen Zustand von Angst und
Terror hingewiesen hatte, war die nunmehr sichere Olympiateilnahme Helene
Mayers für viele Amerikaner der Beweis, dass ”sich Deutschland dem
internationalen Druck gebeugt und eine Jüdin zugelassen” habe. |
Der AAU-Konvent stimmte
am 8. Dezember mit 58 1/4 gegen 55 3/4 Stimmen der Teilnahme zu. Mit diesem
Ergebnis war die von Avery Brundage initiierte "Sonderregelung" für
die Außerkraftsetzung des AAU-Votums im Falle einer Pro-Boykott-Entscheidung
hinfällig. Die Entscheidung vom 8. Dezember war - dies als Randbemerkung
- ihrerseits von Brundage manipuliert worden. |
Ebenfalls am Rande erwähnt
sei der Besuch des IOC-Präsidenten bei Hitler am 5. November 1935.
Graf Henri de Baillet-Latour verfügte über Hinweise und Informationen
aus buchstäblich aller Welt, die zum Ausdruck brachten, dass die olympischen
Formalien im nationalsozialistischen Deutschland in grosso modo ad absurdum
geführt wurden. In unerschütterlicher Ignoranz setzte er alles
daran, die Widersprüche, die sich zwischen Olympischer Charta und
vorolympischer Realität auftaten, umzuinterpretieren. |
Es gibt keinen Beleg dafür,
dass "Humanität" für den IOC-Präsidenten jemals etwas anderes
war, als ein Passus eines (olympischen) Regelwerks. Nachdem Baillet-Latour
auf der Autofahrt nach Garmisch-Partenkirchen zahlreiche entlang der Straße
aufgestellte Tafeln mit antisemitischen Aufschriften gesehen hatte, forderte
er Hitler nachdrücklich auf, derartige Anschläge entfernen zu
lassen, was auch geschah. Im Anschluss an seinen Hitler-Besuch verkündete
der Graf, die gesamte Boykottbewegung beruhe ”auf grundlosen Beschuldigungen,
deren Irrigkeit ich leicht entlarven könnte”. |
Völlig anders als der
"Fall" Helene Mayer stellte sich die Nominierung des in Italien aktiven
Eishockeyspielers Rudi Ball dar. Sie vollzog sich unter völligem Ausschluss
der Öffentlichkeit und wurde erst publik, als am 15. Januar 1936 die
namentliche Meldung der Teilnehmer der Winterspiele erfolgte. BERNETT bezeichnet
die Nominierung Balls durch die Reichssportführung als ”second alibi
for their Olympic good faith”. |
Mit alledem nichts mehr
zu tun hatte der deutsche jüdische Sport. Zwar nutzten viele der jüdischen
Sportler den kosmopolitischen Ausnahmezustand der Berliner Spiele, um an
diesen - ungehindert - als Zuschauer teilzunehmen, aber auf Kosten von
16 entspannten Tagen im Berliner Olympiastadion war der jüdische Sport
- stellvertretend - der große Verlierer der Spiele. Er war es stellvertretend,
denn zum Zünglein an der Waage des (sport-) politischen Kräftemessens
zwischen Deutschland und dem - amerikanischen - Rest der Welt wurde er
letztlich deshalb, weil es der Rest der Welt niemals vermocht hatte, humanitäre
Forderungen geltend zu machen, die über die Nominierung eines jüdischen
Sportlers für Olympia hinausgingen. Diese Relation fasste am 3. August
1935 das Pariser Neue Tage-Buch in die Worte: |
”Von der Diffamierung
der Juden im Sport zu sprechen angesichts der viel bedrückenderen
Diffamierung, der sie auf anderen Gebieten ausgesetzt sind, ist beinahe
läppisch.” |
In gewisser Weise trifft
dieser Satz den Nagel auf den Kopf, denn er drückt in wenigen Worten
das aus, was über die lautstarken diplomatischen Gefechte zum Beginn
der Olympischen Spiele längst in Vergessenheit geraten war: Dass nämlich,
dem absurden Diktum der Trennung von Sport und Politik folgend, die völkerrechtliche
Dimension der „Judenfrage“ auf dem vergleichsweise harmlosen Gebiet des
jüdischen Sports verhandelt wurde. Während Hitler die 16-tägigen
Berliner Spiele als i-Tüpfelchen seiner Beharrlichkeit verbuchen konnte,
die ”zugleich eine indirekte Anerkennung der deutschen Judenpolitik” waren
(H. MOMMSEN), beging der isolierte deutsche jüdische Sport längst
wieder seine vielen - von der Öffentlichkeit unbemerkten - Sportfeste. |