Jüdischer Sport im
nationalsozialistischen
Deutschland
Sportgeschichte
 
Überblick:
1. Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme
Die jüdische Sportbewegung in Deutschland
Der Deutsche Makkabikreis
Der Sportbund "Schild" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine VINTUS
Jüdische Arbeitersportvereine
Paritätische deutsche Turn- und Sportverbände
Antisemitismus im Deutschen Schwimm-Verband
Antisemitismus in der deutschen Turnbewegung
2. Erzwungene Neuordnung jüdischen Lebens
3.  Der "Arierparagraph" im deutschen Sport
4. Olympische Spiele 1936: Der jüdische Sport als Politikum
5. Ausblick: Das Ende des jüdischen Sports in Deutschland


1.
Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme
Die jüdische Sportbewegung in Deutschland
Nur 1 bis 2% der rund 500.000 Juden in Deutschland waren zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme Mitglieder in rein jüdischen Turn- und Sportvereinen. Der Gesamtanteil der organisiert Sport treibenden jüdischen Bevölkerung lag indes um ein vielfaches höher, da eine nie zu ermittelnde Anzahl jüdischer Sportler Mitglied in paritätischen deutschen Turn- oder Sportvereinen war. Bis auf vereinzelte Ausnahmen waren bis 1933 alle jüdischen Sportklubs in Deutschland einer der drei maßgeblichen jüdischen Sportorganisationen angeschlossen. Namentlich waren dies: Der Deutsche Makkabikreis, der Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine (VINTUS), sowie der "Schild", Sportorganisation des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten.

a) Der Deutsche Makkabikreis 1921-1933

Die Gründung des Deutschen Makkabikreises vollzog sich im Zeitraum 1919 – 1921. Ihr waren bereits mehr als zwei Jahrzehnte jüdischer Turngeschichte in Deutschland vorangegangen, deren ”echten Anfang ” am 22. Oktober 1898 - in direktem Anschluß an den 2. Zionistischen Kongreß in Basel - die Gründung des Turnvereins Bar Kochba Berlin darstellte:

Der Verein bezweckt die Pflege des Turnens und der national-jüdischen Gesinnung unter seinen Mitgliedern. Unter national-jüdischer Gesinnung verstehen wir die Auffassung, dass die Juden eine auf gemeinsamer Abstammung und Geschichte, keineswegs nur auf religiöser Überzeugung beruhende Gemeinschaft darstellen... 

Bereits auf dem ersten Baseler Kongreß (1897) hatte MAX NORDAU sein berühmtes Wort vom ”Muskeljudentum” als ”Korrektiv des jüdischen Intellektualismus” kundgetan, das von nun an zum ”Kardinalthema” der Jüdischen Turnzeitung geriet. Das Zustandekommen eines ”Verbandes jüdischer Turnvereine”, welches bereits in der zweiten Ausgabe der Turnzeitung angeregt worden war, wurde schließlich mit der Gründung der Jüdischen Turnerschaft (JT) im Jahr 1903 vollzogen. In ihrer inhaltlichen und organisatorischen Ausrichtung orientierte sich die JT stark am Vorbild ihres deutschen Pendants, das in den Worten des Sporthistorikers HAJO BERNETT ”als nationale Bewegung Modellcharakter besitzt”. 

Bis zu ihrer Auflösung am Beginn des Ersten Weltkriegs war die Jüdische Turnerschaft bestrebt, ihre zionistische Ausrichtung nicht offen kundzutun. Der Grund für ihre Existenz war, wie oft hervorgehoben wurde, ”nicht der negativen Wurzel des Antisemitismus, sondern der positiven Zielsetzung der nationaljüdischen (nicht extrem zionistischen) Idee” zuzuschreiben:

”Indem der Verband sich auf bewusst nationalen Boden gestellt hat - eine Tat, die bei den deutschen liberalen Blättern einen wahren Entrüstungssturm hervorgerufen hat - wollte er zum Ausdruck bringen, dass er sich als ein Glied der Kette derjenigen Bestrebungen fühlt, die, von einer gleichartigen Auffassung über den Zustand der Judenheit getragen, die Judenfrage auf dem Wege der Selbstbefreiung lösen wollen. Aufgebaut auf der gleichen nationalen Basis wie der Zionismus, hat die Jüdische Turnerschaft in weiser Selbstbeschränkung es sich versagt, die politischen Konsequenzen auch für sich zu ziehen.”

Der Deutsche Makkabikreis, der sich ”entschiedener als sein Vorläufer” zum politischen Zionismus bekannte, entstand im Jahr 1921 als erweiterte Neugründung der vormaligen Jüdischen Turnerschaft. Rahmen dieser Gründung war der 12. Zionistische Kongress in Karlsbad, auf dem gleichzeitig auch die Konstituierung des neuen Makkabi-Weltverbandes stattfand, dem zunächst die Leitung des deutschen Kreises vorstand. Nachdem in der Anfangszeit die ”Rückkehr zum Judentum vor der Rückkehr ins Judenland” zur Devise der Verbandsarbeit erhoben worden war, zeichnete sich gegen Ende der 20er Jahre die immer stärker werdende Zionisierung des Makkabi-Deutschland ab , der in allen seinen Aktivitäten zunehmend die Perspektive "Palästina" in den Vordergrund stellte:

”Der Makkabi-Weltverband erstrebt die Erziehung seiner Mitglieder durch körperliche und geistige Schulung zur verantwortungsbewußten Mitarbeit an allen nationalen Aufgaben des Jüdischen Volkes insbesondere am Aufbau von Erez Israel.”

Erster Höhepunkt der palästina-orientierten Arbeit des Makkabi war die, vornehmlich vom deutschen Kreis getragene, Vorbereitung und Durchführung der ersten Makkabiah in Tel Aviv 1932, durch welche - nach ROBERT ATLASZ - die ”moralische und zionistische Stellung des Makkabi erheblich an Allgemeinbedeutung gewonnen” habe.

Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme gehörten dem Deutschen Makkabikreis 25 Vereine mit rund 8.000 Mitgliedern an.

b) Der Sportbund "Schild" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Bevor 1933 der "Schild" offiziell zum Sportbund im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten erhoben werden sollte, hatte er eine undeutlich definierte assoziative Stellung zum RjF innegehabt. 

Die erste Gründung von RjF-Sportgruppen führt auf Selbstschutzpläne des Frontbundes vom Sommer 1923 zurück. Bereits kurze Zeit später trat - im Zeichen jüdischen Selbstschutzes - der RjF zum ersten Mal als Abwehrbund auf den Plan. Anlass waren die pogromartigen, nahezu ausschließlich gegen Juden gerichteten "Scheunenviertelkrawalle" vom November 1923. Der Reichsbund bildete, nachdem die Polizei die tagelangen Krawalle zunächst nicht unter Kontrolle bekam, eigene bewaffnete Patrouillen, die ”die Aufgabe hatten, ihre Glaubensgenossen bis zum Eingreifen der Polizei zu schützen. Ferner wurden ... Synagogen bewacht und gegnerische Versammlungen beobachtet. Die Verbindung zwischen den einzelnen Wachlokalen wurde durch Radfahrer aufrecht erhalten.” (ULRICH DUNKER)


Nachdem schon im Sommer 1923 seitens der RjF-Bundesleitung zum ersten Mal der Aufruf an die Ortsgruppen ergangen war, die jüdische Jugend ”für unsere Ziele und für jede körperliche Ertüchtigung” zu sammeln, gründeten sich 1924 erste RjF-Sportgruppen. Dies geschah auf Geheiß der Leitung des Frontbundes allerdings ausschließlich dort, wo andere jüdische oder paritätische Sportvereine nicht schon existierten. 1925 erfolgte die Eintragung als Turn- und Sportverein in das Amtsregister unter dem Namen "Schild". In den Folgejahren stellte die Sportgruppe "Schild" Berlin regelmäßig deutsche Meister und Sieger der Adlerplakette des Reichspräsidenten im Judo bzw. Jiu-Jitsu.

Im Jahr 1933 hatte der "Schild" 7.000 Mitglieder in 90 Vereinen. 

c) Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine VINTUS

Um eine regionale, im Westen Deutschlands beheimatete Erscheinung handelte es sich beim 1925 in Essen gegründeten Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine. Der "VINTUS" war aus einem, wenn man so will, "sportlich anti-nationaljüdischen" Selbstverständnis gegründet worden: Viele der VINTUS-Mitglieder verstanden sich als Zionisten, waren aber Befürworter eines "Sports ohne Politik" und wandten sich gegen den national-jüdischen Charakter des Makkabi. Laut BERNETT bedeutete für den (West-)Deutschen Makkabikreis die Entstehung des VINTUS eine schwere Kraftprobe. Dies stimmt überein mit der Aussage LEWINSONS, wonach die VINTUS-Vereine, die ”in denjenigen Orten, in denen es starke und wohlhabende jüdische Gemeinden gab ” beheimatet waren, von eben diesen Gemeinden finanziell Unterstützt wurden, während sie auf sportlicher Ebene eng mit dem "Schild" zusammenarbeiteten.  Auf beiden Feldern fand sich damit der Makkabikreis auf sich selbst zurückgeworfen in einer isolierten Position wieder; Versuche des Makkabi, eine Fusion mit dem VINTUS herbeizuführen, scheiterten. 

Dem VINTUS gehörten 1933 18 Vereine an. Über die Gesamtzahl der VINTUS-Sportler gibt es keine Angaben.

d) Jüdische Arbeitersportvereine

Neben denjenigen jüdischen Turn- und Sportvereinen, die Mitglied in einem der drei voranstehend genannten Verbände waren, gab es in der Weimarer Zeit auch - zionistische - Vereine, die innerhalb des Arbeiter Turn- und Sportbundes (ATSB) organisiert waren und ihren Schwerpunkt im rheinisch-westfälischen Raum hatten. Offenbar waren viele, wenn nicht alle jüdischen ATSB-Vereine auch gleichzeitig Mitglieder des Makkabi. Die vom ATSB sonst nicht geduldete Doppelmitgliedschaft zielte, laut EIKE STILLER, offenbar ”perspektivisch auf eine vollständige Integration der Teile der jüdischen Sporttreibenden ab, die im weitesten Sinne als zur Arbeiterschaft gehörig verortet wurden ”:

”Nationale oder religiöse Sentiments verhindern nicht Lohnabbau, Entlassungen und andere Liebesgaben bei dem jüdischen Unternehmer, auch wenn es sich um jüdische Arbeiter handelt. ... Mit den Kämpfen der allgemeinen Arbeiterschaft die jüdischen Arbeiter vertraut zu machen, sie zu der Erkenntnis zu bringen, dass mit der Lösung der allgemeinen Arbeiterfrage auch die jüdische Arbeiterfrage gelöst ist, all das ist mit die Aufgabe des Jüdischen Arbeiter- Turn- und Sportvereins, als Parallelaufgabe der sportlichen Ausbildung.”

Im 6. Kreis des Arbeiter- Turn- und Sportbundes waren 1933 - vor dessen Zerschlagung im Mai desselben Jahres - acht jüdische Vereine organisiert. Ob und in welcher Organisation die Mitglieder dieser Vereine weiter Sport betrieben, blieb bislang unerforscht.

Paritätische deutsche Turn- und Sportverbände

Jenseits der Aktivitäten jüdischer Sportverbände und -vereine war bis 1933 die Mehrzahl der jüdischen Sportler in Deutschland - ihre genaue Zahl wird niemals festzustellen sein - Mitglied paritätischer Turn- und Sportvereine. Für den jüdischen Bürger bedeutete der Sport ein ”Medium gesellschaftlicher Integration”. Die ”praktische Wirksamkeit des Gleichheitsprinzips” widerfuhr ihm hier wie in sonst keinem anderen Kulturbereich. Nur in sehr seltenen Ausnahmen verwehrten deutsche Sportvereine jüdischen Sportlern die Mitgliedschaft.


a) Antisemitismus im Deutschen Schwimm-Verband

Am Beispiel des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) hat HANS-GEORG JOHN die Anfälligkeit eines Sportverbandes ”auf dem Wege in die nationalsozialistische Diktatur” untersucht. Der langjährige Vorsitzende des DSV, Hans Geisow, hatte mit dem Aufruf "Schwimm-Verband, erwache!" und der damit einhergehenden Aufforderung zu einem politischen Bekenntnis zum Nationalsozialismus bei einer gleichzeitigen ”Abkehr von den bis dahin im Verband geltenden Grundsätzen und Anschauungen” für große Unruhe in der Organisation gesorgt. John gelangt zu dem Schluss, dass es für den DSV bis dahin keine klar erkennbare ”Tendenz einer Politisierung und Infiltration im Sinne des nationalsozialistischen Gedankengutes” gegeben habe.


b) Antisemitismus in der deutschen Turnbewegung

Auf die lediglich untergeordnete Rolle, die der Antisemitismus in Vereinen der Deutschen Turnerschaft für die Gründung jüdischer Turn- und Sportvereine spielte, wies bereits 1980 HARTMUT BECKER und, in verändertem Kontext, 1973 auch HAJO BERNETT hin. Für jeweils eine der aufeinanderfolgenden Phasen vor bzw. nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Resistenz der Deutschen Turnerschaft gegen den vor allem seitens des "völkischen" österreichischen Turnkreises XV in die Turnbewegung getragenen Antisemitismus aufgezeigt. 


Allerdings: In einem historischen Längsschnitt rekonstruierte Bernett - 1992 - die gesamte, 120-jährige Genese "völkischer" (Turner-)Ideologie und gelangte zu dem Ergebnis, dass ihre Gefährlichkeit bislang - also auch von ihm selbst - unterschätzt worden war. Der neuen Untersuchung Bernetts folgend rekrutierten sich die Täter der Morde an Walther Rathenau und Engelbert Dollfuß ebenso aus den Reihen des (in strenger Abgrenzung zur liberalen Turnerschaft) radikalen Deutschen Turnerbundes, der bereits einen "Arierparagraphen" in seinen Gründungsstatuten verankert hatte, wie jene ”Handlungsgehilfen” der Annexion Österreichs, die schon vor dem Einmarsch der Wehrmacht Gewerkschaften, Arbeiterorganisationen und Juden terrorisiert hätten.
Bibliographische Anmerkung zum vorliegenden Text
Kapitel 2: Erzwungene Neuordnung jüdischen Lebens
Übersicht: Jüdischer Sport im NS-Deutschland

Ausstellungsprojekt Sport unter dem Davidstern

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