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Am
Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme |
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Die
jüdische Sportbewegung in Deutschland |
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Nur 1 bis 2% der rund 500.000
Juden in Deutschland waren zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme
Mitglieder in rein jüdischen Turn- und Sportvereinen. Der Gesamtanteil
der organisiert Sport treibenden jüdischen Bevölkerung lag indes
um ein vielfaches höher, da eine nie zu ermittelnde Anzahl jüdischer
Sportler Mitglied in paritätischen deutschen Turn- oder Sportvereinen
war. Bis auf vereinzelte Ausnahmen waren bis 1933 alle jüdischen Sportklubs
in Deutschland einer der drei maßgeblichen jüdischen Sportorganisationen
angeschlossen. Namentlich waren dies: Der Deutsche Makkabikreis, der Verband
jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine (VINTUS), sowie der "Schild",
Sportorganisation des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. |
a)
Der Deutsche Makkabikreis 1921-1933 |
Die Gründung des Deutschen
Makkabikreises vollzog sich im Zeitraum 1919 – 1921. Ihr waren bereits
mehr als zwei Jahrzehnte jüdischer Turngeschichte in Deutschland vorangegangen,
deren ”echten Anfang ” am 22. Oktober 1898 - in direktem Anschluß
an den 2. Zionistischen Kongreß in Basel - die Gründung des
Turnvereins Bar Kochba Berlin darstellte: |
Der Verein bezweckt die
Pflege des Turnens und der national-jüdischen Gesinnung unter seinen
Mitgliedern. Unter national-jüdischer Gesinnung verstehen wir die
Auffassung, dass die Juden eine auf gemeinsamer Abstammung und Geschichte,
keineswegs nur auf religiöser Überzeugung beruhende Gemeinschaft
darstellen... |
Bereits auf dem ersten Baseler
Kongreß (1897) hatte MAX NORDAU sein berühmtes Wort vom ”Muskeljudentum”
als ”Korrektiv des jüdischen Intellektualismus” kundgetan, das von
nun an zum ”Kardinalthema” der Jüdischen Turnzeitung geriet. Das Zustandekommen
eines ”Verbandes jüdischer Turnvereine”, welches bereits in der zweiten
Ausgabe der Turnzeitung angeregt worden war, wurde schließlich mit
der Gründung der Jüdischen Turnerschaft (JT) im Jahr 1903 vollzogen.
In ihrer inhaltlichen und organisatorischen Ausrichtung orientierte sich
die JT stark am Vorbild ihres deutschen Pendants, das in den Worten des
Sporthistorikers HAJO BERNETT ”als nationale Bewegung Modellcharakter besitzt”. |
Bis zu ihrer Auflösung
am Beginn des Ersten Weltkriegs war die Jüdische Turnerschaft bestrebt,
ihre zionistische Ausrichtung nicht offen kundzutun. Der Grund für
ihre Existenz war, wie oft hervorgehoben wurde, ”nicht der negativen Wurzel
des Antisemitismus, sondern der positiven Zielsetzung der nationaljüdischen
(nicht extrem zionistischen) Idee” zuzuschreiben: |
”Indem der Verband sich
auf bewusst nationalen Boden gestellt hat - eine Tat, die bei den deutschen
liberalen Blättern einen wahren Entrüstungssturm hervorgerufen
hat - wollte er zum Ausdruck bringen, dass er sich als ein Glied der Kette
derjenigen Bestrebungen fühlt, die, von einer gleichartigen Auffassung
über den Zustand der Judenheit getragen, die Judenfrage auf dem Wege
der Selbstbefreiung lösen wollen. Aufgebaut auf der gleichen nationalen
Basis wie der Zionismus, hat die Jüdische Turnerschaft in weiser Selbstbeschränkung
es sich versagt, die politischen Konsequenzen auch für sich zu ziehen.” |
Der Deutsche Makkabikreis,
der sich ”entschiedener als sein Vorläufer” zum politischen Zionismus
bekannte, entstand im Jahr 1921 als erweiterte Neugründung der vormaligen
Jüdischen Turnerschaft. Rahmen dieser Gründung war der 12. Zionistische
Kongress in Karlsbad, auf dem gleichzeitig auch die Konstituierung des
neuen Makkabi-Weltverbandes stattfand, dem zunächst die Leitung des
deutschen Kreises vorstand. Nachdem in der Anfangszeit die ”Rückkehr
zum Judentum vor der Rückkehr ins Judenland” zur Devise der Verbandsarbeit
erhoben worden war, zeichnete sich gegen Ende der 20er Jahre die immer
stärker werdende Zionisierung des Makkabi-Deutschland ab , der in
allen seinen Aktivitäten zunehmend die Perspektive "Palästina"
in den Vordergrund stellte: |
”Der Makkabi-Weltverband
erstrebt die Erziehung seiner Mitglieder durch körperliche und geistige
Schulung zur verantwortungsbewußten Mitarbeit an allen nationalen
Aufgaben des Jüdischen Volkes insbesondere am Aufbau von Erez Israel.” |
Erster Höhepunkt der
palästina-orientierten Arbeit des Makkabi war die, vornehmlich vom
deutschen Kreis getragene, Vorbereitung und Durchführung der ersten
Makkabiah in Tel Aviv 1932, durch welche - nach ROBERT ATLASZ - die ”moralische
und zionistische Stellung des Makkabi erheblich an Allgemeinbedeutung gewonnen”
habe. |
Im Jahr der nationalsozialistischen
Machtübernahme gehörten dem Deutschen Makkabikreis 25 Vereine
mit rund 8.000 Mitgliedern an. |
b) Der
Sportbund "Schild" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten |
Bevor 1933 der "Schild"
offiziell zum Sportbund im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten erhoben
werden sollte, hatte er eine undeutlich definierte assoziative Stellung
zum RjF innegehabt.
Die erste Gründung von
RjF-Sportgruppen führt auf Selbstschutzpläne des Frontbundes
vom Sommer 1923 zurück. Bereits kurze Zeit später trat - im Zeichen
jüdischen Selbstschutzes - der RjF zum ersten Mal als Abwehrbund auf
den Plan. Anlass waren die pogromartigen, nahezu ausschließlich gegen
Juden gerichteten "Scheunenviertelkrawalle" vom November 1923. Der Reichsbund
bildete, nachdem die Polizei die tagelangen Krawalle zunächst nicht
unter Kontrolle bekam, eigene bewaffnete Patrouillen, die ”die Aufgabe
hatten, ihre Glaubensgenossen bis zum Eingreifen der Polizei zu schützen.
Ferner wurden ... Synagogen bewacht und gegnerische Versammlungen beobachtet.
Die Verbindung zwischen den einzelnen Wachlokalen wurde durch Radfahrer
aufrecht erhalten.” (ULRICH DUNKER) |
Nachdem schon im Sommer
1923 seitens der RjF-Bundesleitung zum ersten Mal der Aufruf an die Ortsgruppen
ergangen war, die jüdische Jugend ”für unsere Ziele und für
jede körperliche Ertüchtigung” zu sammeln, gründeten sich
1924 erste RjF-Sportgruppen. Dies geschah auf Geheiß der Leitung
des Frontbundes allerdings ausschließlich dort, wo andere jüdische
oder paritätische Sportvereine nicht schon existierten. 1925 erfolgte
die Eintragung als Turn- und Sportverein in das Amtsregister unter dem
Namen "Schild". In den Folgejahren stellte die Sportgruppe "Schild" Berlin
regelmäßig deutsche Meister und Sieger der Adlerplakette des
Reichspräsidenten im Judo bzw. Jiu-Jitsu. |
Im Jahr 1933 hatte der "Schild"
7.000 Mitglieder in 90 Vereinen. |
c) Verband
jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine VINTUS |
Um eine regionale, im Westen
Deutschlands beheimatete Erscheinung handelte es sich beim 1925 in Essen
gegründeten Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine.
Der "VINTUS" war aus einem, wenn man so will, "sportlich anti-nationaljüdischen"
Selbstverständnis gegründet worden: Viele der VINTUS-Mitglieder
verstanden sich als Zionisten, waren aber Befürworter eines "Sports
ohne Politik" und wandten sich gegen den national-jüdischen Charakter
des Makkabi. Laut BERNETT bedeutete für den (West-)Deutschen Makkabikreis
die Entstehung des VINTUS eine schwere Kraftprobe. Dies stimmt überein
mit der Aussage LEWINSONS, wonach die VINTUS-Vereine, die ”in denjenigen
Orten, in denen es starke und wohlhabende jüdische Gemeinden gab ”
beheimatet waren, von eben diesen Gemeinden finanziell Unterstützt
wurden, während sie auf sportlicher Ebene eng mit dem "Schild" zusammenarbeiteten.
Auf beiden Feldern fand sich damit der Makkabikreis auf sich selbst zurückgeworfen
in einer isolierten Position wieder; Versuche des Makkabi, eine Fusion
mit dem VINTUS herbeizuführen, scheiterten. |
Dem VINTUS gehörten
1933 18 Vereine an. Über die Gesamtzahl der VINTUS-Sportler gibt es
keine Angaben. |
d) Jüdische
Arbeitersportvereine |
Neben denjenigen jüdischen
Turn- und Sportvereinen, die Mitglied in einem der drei voranstehend genannten
Verbände waren, gab es in der Weimarer Zeit auch - zionistische -
Vereine, die innerhalb des Arbeiter Turn- und Sportbundes (ATSB) organisiert
waren und ihren Schwerpunkt im rheinisch-westfälischen Raum hatten.
Offenbar waren viele, wenn nicht alle jüdischen ATSB-Vereine auch
gleichzeitig Mitglieder des Makkabi. Die vom ATSB sonst nicht geduldete
Doppelmitgliedschaft zielte, laut EIKE STILLER, offenbar ”perspektivisch
auf eine vollständige Integration der Teile der jüdischen Sporttreibenden
ab, die im weitesten Sinne als zur Arbeiterschaft gehörig verortet
wurden ”: |
”Nationale oder religiöse
Sentiments verhindern nicht Lohnabbau, Entlassungen und andere Liebesgaben
bei dem jüdischen Unternehmer, auch wenn es sich um jüdische
Arbeiter handelt. ... Mit den Kämpfen der allgemeinen Arbeiterschaft
die jüdischen Arbeiter vertraut zu machen, sie zu der Erkenntnis zu
bringen, dass mit der Lösung der allgemeinen Arbeiterfrage auch die
jüdische Arbeiterfrage gelöst ist, all das ist mit die Aufgabe
des Jüdischen Arbeiter- Turn- und Sportvereins, als Parallelaufgabe
der sportlichen Ausbildung.” |
Im 6. Kreis des Arbeiter-
Turn- und Sportbundes waren 1933 - vor dessen Zerschlagung im Mai desselben
Jahres - acht jüdische Vereine organisiert. Ob und in welcher Organisation
die Mitglieder dieser Vereine weiter Sport betrieben, blieb bislang unerforscht. |
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Paritätische
deutsche Turn- und Sportverbände
Jenseits der Aktivitäten
jüdischer Sportverbände und -vereine war bis 1933 die Mehrzahl
der jüdischen Sportler in Deutschland - ihre genaue Zahl wird niemals
festzustellen sein - Mitglied paritätischer Turn- und Sportvereine.
Für den jüdischen Bürger bedeutete der Sport ein ”Medium
gesellschaftlicher Integration”. Die ”praktische Wirksamkeit des Gleichheitsprinzips”
widerfuhr ihm hier wie in sonst keinem anderen Kulturbereich. Nur in sehr
seltenen Ausnahmen verwehrten deutsche Sportvereine jüdischen Sportlern
die Mitgliedschaft. |
a) Antisemitismus
im Deutschen Schwimm-Verband
Am Beispiel des Deutschen
Schwimm-Verbandes (DSV) hat HANS-GEORG JOHN die Anfälligkeit eines
Sportverbandes ”auf dem Wege in die nationalsozialistische Diktatur” untersucht.
Der langjährige Vorsitzende des DSV, Hans Geisow, hatte mit dem Aufruf
"Schwimm-Verband, erwache!" und der damit einhergehenden Aufforderung zu
einem politischen Bekenntnis zum Nationalsozialismus bei einer gleichzeitigen
”Abkehr von den bis dahin im Verband geltenden Grundsätzen und Anschauungen”
für große Unruhe in der Organisation gesorgt. John gelangt zu
dem Schluss, dass es für den DSV bis dahin keine klar erkennbare ”Tendenz
einer Politisierung und Infiltration im Sinne des nationalsozialistischen
Gedankengutes” gegeben habe. |
b) Antisemitismus
in der deutschen Turnbewegung
Auf die lediglich untergeordnete
Rolle, die der Antisemitismus in Vereinen der Deutschen Turnerschaft für
die Gründung jüdischer Turn- und Sportvereine spielte, wies bereits
1980 HARTMUT BECKER und, in verändertem Kontext, 1973 auch HAJO BERNETT
hin. Für jeweils eine der aufeinanderfolgenden Phasen vor bzw. nach
dem Ersten Weltkrieg wurde die Resistenz der Deutschen Turnerschaft gegen
den vor allem seitens des "völkischen" österreichischen Turnkreises
XV in die Turnbewegung getragenen Antisemitismus aufgezeigt. |
Allerdings: In einem historischen
Längsschnitt rekonstruierte Bernett - 1992 - die gesamte, 120-jährige
Genese "völkischer" (Turner-)Ideologie und gelangte zu dem Ergebnis,
dass ihre Gefährlichkeit bislang - also auch von ihm selbst - unterschätzt
worden war. Der neuen Untersuchung Bernetts folgend rekrutierten sich die
Täter der Morde an Walther Rathenau und Engelbert Dollfuß ebenso
aus den Reihen des (in strenger Abgrenzung zur liberalen Turnerschaft)
radikalen Deutschen Turnerbundes, der bereits einen "Arierparagraphen"
in seinen Gründungsstatuten verankert hatte, wie jene ”Handlungsgehilfen”
der Annexion Österreichs, die schon vor dem Einmarsch der Wehrmacht
Gewerkschaften, Arbeiterorganisationen und Juden terrorisiert hätten. |