Jüdischer Sport im
nationalsozialistischen
Deutschland
 
 
 
 
 
Sportgeschichte
 
Überblick:
1. Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme
2. Erzwungene Neuordnung jüdischen Lebens
Polarisierung zionistischer und nicht-zionistischer Standpunkte
"Neuordnung" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
Unveränderte Ziele in der Zionistischen Vereinigung für Deutschland
Die Stellung von RjF und ZVfD aus der Verfolgerperspektive
3.  Der "Arierparagraph" im deutschen Sport
4. Olympische Spiele 1936: Der jüdische Sport als Politikum
5. Ausblick: Das Ende des jüdischen Sports in Deutschland


2.
Erzwungene Neuordnung jüdischen Lebens in Deutschland
Die tausendjährige Geschichte des deutschen Judentums ist zu Ende. 
(Leo Baeck, September 1933)
Der Zeitraum, der zwischen Weihnachten 1932 und der Etablierung der Reichsvertretung der deutschen Juden im September 1933 lag, markierte den Beginn eines Ablaufs, dem das Ende bereits inhärent war. Die Dimension der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde freilich von vielen Juden wie Nichtjuden vorerst anders eingeschätzt als von Leo Baeck. Sein Wort vom Ende des Deutschen Judentums ”schockierte” seine Zuhörer: ”Die Juden hatten es gehört, aber die meisten hatten es nicht aufgenommen”. (BALL-KADURI)

Nachdem am 30. Januar 1933 die nationalsozialistische Machtübernahme erfolgt war, lag die erste Hauptaufgabe des neuen Regimes zunächst in der Zerschlagung seiner politischen Opposition. Dies war gleichbedeutend damit, dass während der ersten Wochen nationalsozialistischer Herrschaft das Hauptaugenmerk der NS-Führer und der von ihnen bis zur Raserei aufgestachelten SA-Männer - noch - nicht in vorderster Linie auf den Juden lag. Juden wurden im Februar des Jahres 1933 nicht als Juden verfolgt, sondern sie wurden in ihrer Eigenschaft als frühere Sozialisten oder als Mitglieder des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold oder des Republikanischen Beamtenbundes oder als Angehörige der Friedensliga oder als Kommunisten verhaftet oder kamen in Konzentrationslager. 

Die Reichstagswahl vom 5. März 1933 - der Reichstag war fünf Tage zuvor in Flammen aufgegangen - brachte nicht das von vielen Juden und Nichtjuden herbeigewünschte vorzeitige "Ende des nationalsozialistischen Spuks" (KLEMPERER), sondern sie führte zunächst zum "Ermächtigungsgesetz", und auf dessen Basis dann in mehreren, schnellen Schritten - deren erster "planmäßiger" die großangelegte Boykottkampagne gegen jüdische Geschäfte am 1. April war, unmittelbar gefolgt vom Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April - zunächst in offenen Terror, bald darauf in Verfolgung, Deportation und Vernichtung. 

Als der Historiker FRED GRUBEL - 1986 - das Sinnbild von der einen jüdischen Gemeinde entwarf, die sich 1933 ”im selben Boot, in immer stürmischerer, tobender See” zusammenfand, sprach er auf die im September 1933 vollzogene Gründung der Reichsvertretung der Deutschen Juden an, die, so KURT JACOB BALL-KADURI, ”in Wirklichkeit eine Gründung der großen jüdischen politischen Vereinigungen gewesen war, die sich damit über die Gemeinde Berlin und den unfähigen Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden hinweggesetzt hatten”.

Bis zur Konstituierung der Reichsvertretung waren die vielen und verschiedenartigen im Reich verstreuten jüdischen Verbände und Vereinigungen - von der ungeheuren nationalsozialistischen Übermacht ”auf Leben und Tod” angegriffen - ohne jede einheitliche Leitung und Koordination geblieben. Dies war gleichbedeutend damit, dass die Wucht der immer stärker zunehmenden Gewalt von außen nicht, so gut es ging, von einer in sich stabilen Organisation abgefedert werden konnte, sondern dass sie einzelne Individuen bzw. einzelne Gemeinden unabgeschwächt traf. Im Sinne einer übergreifenden Zusammenarbeit waren nun nicht nur - wie schon angedeutet - die starken jüdischen Gemeinden handlungsunfähig. Vielmehr standen auch einer Übereinkunft der politischen jüdischen Vereinigungen zahllose Hindernisse im Weg. Die dennoch erfolgreich verlaufene Gründung der Reichsvertretung ging letztlich auf die Initiative eines "Dreimännerkollegiums" aus Essen zurück, das die Führung der einzurichtenden Organisation dem ersten Rabbiner der Berliner Gemeinde, Leo Baeck, antrug.

Während die Weitsicht, die Diplomatie und das Fingerspitzengefühl einiger ihrer Exponenten ein Arrangement der heterogenen jüdischen Positionen ermöglichte, kam ein solches Arrangement bei der Koexistenz der verschiedenen politischen Organisationen in anfänglich nur recht beschränktem Maße zustande. Nochmals sei an dieser Stelle das Gleichnis Fred Grubels vom jüdischen Boot in tobender See aufgegriffen: Das eine, gemeinsame jüdische Boot hätte es ohne die Voraussetzung der stürmischen See niemals gegeben. Aber es wäre, so, wie es beschaffen war, auch ohne eine stürmische See ein schlingerndes Boot gewesen. Einen beträchtlichen Anteil an diesem Zustand kann man dem Missverhältnis zuschreiben, das zwischen der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten vorherrschte. 

Da die gesamte Entwicklung des jüdischen Sports in Deutschland ab 1933 - abgesehen von der ohnehin prekären Folie nationalsozialistischer Willkür - in unmittelbarer Abhängigkeit zu diesen beiden politischen Organisationen stand, sei deren Verhältnis zueinander im folgenden kurz umrissen.


Polarisierung der zionistischen und der nicht-zionistischen Standpunkte

Im Hinblick auf die gemeinsam zu errichtende Dachorganisation begann die traditionelle Gegnerschaft zwischen der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem Central-Verein einer schrittweisen Annäherung der beiden Organisationen zu weichen : Die ”Parteiinhalte” von C.V. und Z.V.f.D. lockerten sich gleichermaßen auf. Anstelle des Centralvereins bekleidete fortan der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten die äußerste Position antizionistischer Gesinnung. 


a) "Neuordnung" im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Die Polarisierung von Frontbund und Zionisten läßt sich, was die Seite des Frontbundes anbetrifft, vermittels der Gretchenfrage - ”Wie hältst Du es mit Deutschland?” - illustrieren, mit der das Organ des RjF, der "Schild", die deutschen Juden vor die Entscheidung stellte, ob sie auswandern oder in Deutschland bleiben wollten. Die Bundesleitung des Frontbundes entschied sich für letzteres und entschied damit gleichzeitig:


a) die strikte eigene Abgrenzung von denjenigen, die sich für eine Auswanderung aussprachen und

b) die Anpassung des Bundes an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland.

Der Frontbund setzte, nachdem er seine bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme aufrechterhaltene politische Neutralität aufgegeben hatte, im Mai 1933 das "Führerprinzip" durch. Ab April 1933 richtete die Bundesleitung des RjF immer wieder Eingaben an Hitler, Hindenburg und weitere Regierungsstellen, in denen sie eine Beteiligung am 'nationalen Wiederaufbau' Deutschlands ”sei es zum friedlichen Aufbau des Reiches, sei es zu seiner Verteidigung nach außen” reklamierte und die bevorzugte Behandlung von RjF-Angehörigen forderte. Dass den Frontsoldaten im Zuge der so bezeichneten "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" qua Gesetz Privilegien gewährt wurden, muss auf die Intervention Hindenburgs bei Hitler zurückgeführt werden.

So deutlich, wie den übrigen deutschen Juden durch das ausschließliche Streben des Frontbundes nach bevorzugter Behandlung seiner Mitglieder unausgesprochen ”die Solidarität ... aufgekündigt” wurde, so deutlich richtete sich der RjF expressis verbis gegen die Zionistische Vereinigung, mit der er in den Weimarer Jahren durchaus freundschaftliche Beziehungen unterhalten hatte:

”Gegenüber dem Zionismus ist die Abgrenzung sehr leicht und scharf anzugeben. Nachdem, seit dem nationalen und nationalsozialistischen Umschwung, der RjF nicht mehr bei seiner jüdisch-politischen Neutralität bleiben konnte, war nur eine eindeutige Stellungnahme für unsere deutsche Heimat als unsere alleinige Heimat, für die wir gekämpft haben, und für die und um die wir immer wieder kämpfen und kämpfen werden, gegeben ... jüdisch-nationale Bestrebungen dürfen nicht dazu gehören, und soweit sie schon in Deutschland Eingang gefunden haben, müssen sie verschwinden.”

Die Lösung der ”Judenfrage” lag für den RjF, da dessen Mitglieder in Deutschland bleiben wollten, entsprechend in Deutschland. Zu erreichen war sie - laut LEO LÖWENSTEIN - durch die Schaffung eines eigenständigen jüdischen Bereiches in Deutschland, in dem die Juden ”durchaus und geschlossen unter sich bleiben” und die ”Ziele des nationalsozialistischen Staates unbedingt anerkennen”.

b) Unveränderte Ziele in der Zionistischen Vereinigung für Deutschland

Die Lösung der ”Judenfrage” war das erstrebte Ziel auch der Zionistischen Vereinigung. Die zionistische Konzeption hatte, gemessen an der des Frontbundes, eine andere Richtung - die gleiche nämlich, wie bereits vor 1933 auch: Förderung der zionistischen Idee unter den deutschen Juden und deren Vorbereitung auf ein neues Leben in Palästina.

Nachdem am 13. Juni 1933 die - zionistische - Jüdische Rundschau der Haltung Ausdruck verlieh, dass man von judenfreundlichen wie judenfeindlichen Regierungen gleichermaßen Unterstützung erwarte, richtete sich die Z.V.f.D. mit einer förmlichen Erklärung an Hitler, in der sie die ”nationale Wiedergeburt Deutschlands durch den Nationalsozialismus und dessen Grundgedanken zu Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein” begrüßte. Diese Grundlagen mache sich auch der Zionismus zu eigen, als ”Ausdruck der nationalen Wiedergeburt auch des jüdischen Volkes”. Für die Zeit der Auswanderung, so der Vorschlag der Z.V.f.D., solle der Staat den deutschen Juden den Status einer geschützten Minderheit gewähren. 

Schon im September 1933, dies steht in Einklang mit der Erkenntnis Leo Baecks vom Ende des Judentums in Deutschland, legte MARTIN ROSENBLÜTH in einer Denkschrift das Wort von der "nationalen Wiedergeburt Deutschlands" anders - realistischer - aus und stellte fest, dass ”der deutsche Zionismus im Grunde gar keine andere Wahl habe als zu versuchen, Bedingungen zu erreichen, die eine ordnungsgemäße Emigration der Juden gewährleisten ”.

Die Bedeutung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten war, nach einem Artikel der Jüdischen Rundschau, im Sinken begriffen, da ”der dünne Aufguss der alten assimilatorischen Ideologie, die nur mit einigen modischen Schlagworten aufgeputzt” sei, für die ”Bewältigung der Lebensprobleme des deutschen Judentums nicht ausreichen” könne.

c) Die Stellung von RjF und ZVfD aus der Verfolgerperspektive

Die Politik des Reichsbundes führte in der Anfangszeit des nationalsozialistischen Regimes zunächst auf einigen Feldern zu der angestrebten Bevorzugung seiner Mitglieder und des Teils der deutschen Juden, dessen Interessen er vertrat, gegenüber dem verbleibenden anderen Teil. Dass es zu gesetzlichen Ausnahmeregelungen zugunsten von Frontkämpfern kam, kann keinesfalls als Anerkennung Hitlers  für die Anpassungsbereitschaft des RjF gewertet werden - sie gehen vielmehr auf den alten Soldaten und Feldmarschall Hindenburg zurück. Zu breiter, wenngleich informeller Unterstützung durch das Regime gelangte indes die zionistische Auswanderungspolitik, die zwischen 1933 und 1940 von verschiedenen Staats- und Parteistellen teilweise massiv gefördert wurde. Aber auch hier gilt, dass die geleistete Unterstützung nicht als Anerkennung zionistischer Politik seitens der Nationalsozialisten verstanden werden darf, sondern vielmehr ein Mittel zum Zweck bei der Verfolgung des übergeordneten Ziels der Rassenpolitik Hitlers war. Sein Wort von 1920 - zum deutschen Juden - galt 1933 unverändert: ”Menschenrechte soll er sich da suchen, wo er hingehört, in ... Palästina”.

Dass die Unterschiede in der innerjüdischen Politik das NS-Regime letztlich ohnehin nicht kümmerten und ”jede jüdische Organisation, gleich welcher Art, ein 100%iger Gegner des Nationalsozialismus war, zeigte sich - stellvertretend für alle, die dies nicht bereits vorher wussten - auch dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten spätestens im September 1935. Der Erlass der "Nürnberger Gesetze" vollzog - auch faktisch - das Ende der jüdischen Assimilation und Emanzipation der vergangenen anderthalb Jahrhunderte. 

Bibliographische Anmerkung zur vorliegenden Textauswahl
Kapitel 3: Der "Arierparagraph" im deutschen Sport
Übersicht: Jüdischer Sport im NS-Deutschland

Ausstellungsprojekt Sport unter dem Davidstern

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