Jüdischer
Sport im
nationalsozialistischen
Deutschland
|
|
|
1. |
Am
Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme |
2. |
Erzwungene
Neuordnung jüdischen Lebens |
|
|
3. |
Der
"Arierparagraph" im deutschen Sport |
|
|
|
Gleichschaltung
oder Auflösung:
Das
deutsche Sportverbandswesen im Jahr 1933 |
|
|
Ausschluss
der jüdischen Athleten aus deutschen Sportverbänden |
|
|
Schicksale
ausgeschlossener Sportler |
|
|
Ausschluss
der jüdischen Vereine aus deutschen Sportverbänden |
|
|
Neuorganisation
des jüdischen Sports |
|
|
Die
Krise der Ausgeschlossenen |
|
|
Erste
Maßnahmen der jüdischen Sportorganisationen 1933 |
|
|
|
|
|
|
4. |
Olympische
Spiele 1936: Der jüdische Sport als Politikum |
5. |
Ausblick:
Das Ende des jüdischen Sports in Deutschland |
|
3. |
|
Der
"Arierparagraph" im deutschen Sport |
|
|
Gleichschaltung
oder Auflösung: Das deutsche Sportverbandswesen im Jahr 1933
Um das Koordinatenkreuz,
innerhalb dessen der jüdische Sport letztlich anzusiedeln ist, zu
vervollständigen, sollen an dieser Stelle die historischen Rahmenbedingungen
der "Neuordnung" im Sport knapp umrissen werden. In den vorangegangenen
Abschnitten ist bereits angedeutet worden, im welchem Maße die nationalsozialistische
Machtübernahme vom 30. Januar 1933 in der Folgezeit jüdische
Organisationen zur Neuorientierung in vielen Bereichen zwang. Während
die explizit jüdischen Einrichtungen zunächst in die Isolation
gedrängt und in der Folgezeit dann in unsystematischer Art schrittweise
liquidiert wurden, bedeutete das Jahr 1933 für beinahe alle deutschen
- d.h. nicht-jüdischen - Organisationen entweder die Gleichschaltung
oder die Ausschaltung. Das deutsche Sportverbandswesen - und hiermit wiederum
auch die ihm angehörigen jüdischen Sportler, Vereine und Verbände
- erfuhr seit dem Frühjahr 1933 eine Reihe von Veränderungen,
die anhand der im folgenden aufgeführten Vorgänge nachvollzogen
werden können:
- |
Einsetzung des staatlichen
Reichssportkommissars von Tschammer und Osten [im April] sowie dessen Ernennung
zum Reichssportführer [im Juli]; |
- |
Zerschlagung der Arbeitersportbewegung;
Verbot und Ausschluss der konfessionellen Sportvereine aus den Dachverbänden;
"Arisierung" der paritätischen Verbände und Vereine sowie gleichbedeutend
hiermit: Ausschluss jüdischer Sportvereine und -verbände aus
deutschen Dachorganisationen; |
- |
Umstrukturierung des verbliebenen
Sportverbandswesens. |
Wenn, wie es HANS-ULRICH
LUDEWIG bezeichnet, im Jahr 1933 der Sport nicht erst ”vergewaltigt zu
werden brauchte”, um letztlich einen gleichen, respektive gleichgeschalteten
Teil der "nationalen Erhebung" zu stellen, so trifft dies - bei Ausblendung
der voranstehend genannten Schicksale nicht-systemkonformer Organisationen
und ihrer Mitglieder, deren Stärke zusammengenommen immerhin im Millionenbereich
lag - mehrheitlich wohl zu. |
Die Mitglieder der bürgerlichen
Turn- und Sportbewegung, organisiert im Deutschen Reichsausschuss für
Leibesübungen (DRA), teilten im Großen und Ganzen die "überlieferte"
Unzufriedenheit vieler deutscher Zeitgenossen mit der Weimarer Republik:
Man fühlte sich dem Vaterland verpflichtet, nicht aber der Demokratie.
Andererseits wurden im Bereich der DRA-Einzelverbände jene Grundsätze
einer staatlichen körperlichen Erziehung, die seit 1920 im Parteiprogramm
der NSDAP standen bzw. von Hitler in Mein Kampf ausgeführt
wurden, durchaus mit Wohlwollen gesehen, weil sie die ”Aufwertung alles
Physischen” versprachen. Die gleiche positive Sanktionierung erfuhr die
in Aussicht gestellte NS-Politik - zumindest in diesem Programmpunkt -
auch seitens der Turn- und Sportlehrerschaft, denn auch ihr war die oben
genannte Aufwertung ein permanentes, geradezu traditionelles Anliegen. |
Vor diesem Hintergrund vollzog
sich nach dem 30. Januar 1933 die weitere Entwicklung des bürgerlichen
Sports in Deutschland. Von nennenswertem Widerstand der bürgerlichen
Sportorganisationen gegen den "drohenden" nationalsozialistischen Zugriff
kann - abgesehen von einem ”Hauch von Opposition”, der bei WINFRIED JOCH
beschrieben wird - kaum die Rede sein. Im Gegenteil: Die großen Sportverbände
”traten an zum Wettlauf um die Gunst der freudig begrüßten neuen
Machthaber”, die einzelnen Vereine übertrafen sich gegenseitig mit
Ergebenheitsadressen und Petitionen, deren Lektüre - so HAJO BERNETT
1971 - ”heute denkbar peinlich wirkt”. Der Grund dieser ”Kooperationsbereitschaft”
kann durchaus auch, darauf weist HANS JOACHIM TEICHLER hin, auf das ”warnende
Beispiel der gewaltsam zerschlagenen linken Parallelorganisationen” zurückzuführen
sein. |
Die Dachorganisation des
bürgerlichen Sports, der DRA, wurde, um es kurz zu fassen, am 10.
Mai 1933 aufgelöst, nachdem ihr Präsident Theodor Lewald - dem
NS-Rassendogma gemäß als "Halbjude" gebrandmarkt - sich den
Forderungen nach seinem Rücktritt am 12. April gebeugt hatte und von
der Wahl eines neuen 1. Vorsitzenden nach Aufforderung des Reichsinnenministers
abgesehen wurde. Zu weiterführenden Verhandlungen mit der Reichsregierung
hinsichtlich der Neuorganisation des Sports wurde anstattdessen eine Dreierkomission
gebildet, die dann letztlich ihr Mandat, so Bernett, ”rücksichtslos
missbraucht (hat), um den DRA dem Reichssportkommissar von Tschammer und
Osten in die Hände zu spielen”. |
Die Auflösung des von
den Nationalsozialisten abschätzig als ”Parlament” bezeichneten Deutschen
Reichsausschusses für Leibesübungen war mithin kein als "revolutionäre
Zerschlagung" zu bezeichnender Vorgang, der von NSDAP oder SA in zusätzlicher
Weise hätte forciert werden müssen. Und in gleichem Maße
"selbständig" vollzog sich auch die Gleichschaltung der einzelnen
Verbände und Vereine, die - dem zentralen Thema der vorliegenden Arbeit
entsprechend - an dieser Stelle im Fokus eines einzelnen Aspekts behandelt
werden soll: dem Ausschluss der jüdischen Sportler. |
a) Ausschluss
der jüdischen Athleten aus deutschen Sportverbänden
Nachdem auf die reichsweiten
Boykottaktionen des 1. April der Erlass des Gesetzes "zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums" unmittelbar folgte, erachteten es einige der deutschen
Turn- und Sportverbände für notwendig, einen "Arierparagraphen"
sofort auch in ihren Wirkungsbereich zu übernehmen und jüdische
Mitglieder auszuschließen, teilweise bereits im April 1933, zu einem
Zeitpunkt also, als die Führung des deutschen Sports - noch - vakant
und von Tschammer nicht bereits als Reichssportkommissar eingesetzt worden
war. Als Motiv könnte dem resoluten Vorgehen einzelner Verbandsführer
demnach ohne weiteres eine - aus NS-Perspektive - "positive Interpretation"
der ersten qua Gesetz legitimierten Maßnahmen zur Ausschaltung der
Juden aus dem öffentlichen Leben zugrunde liegen, wobei Prämisse
und auch Zielsetzung solchen Handelns im Bereich politischer Überzeugung
ebenso beheimatet sein könnten wie in einer erhofften Aufwertung des
Sports oder der betreffenden handelnden Personen. Belegt ist die Einführung
des Arierparagraphen im April 1933 für die folgenden DRA-Verbände: |
Der Deutsche Schwimmverband
bekennt sich zum Arierparagraphen und schließt die Juden aus seinen
Vereinen aus; die beiden deutschen Boxsportverbände streichen sämtliche
Juden, auch christlich getaufte, aus ihren Mitgliederlisten; der Verband
brandenburgischer Athleten trennt sich von den korporativ angeschlossenen
jüdischen Vereinen; der Süddeutsche Fußball- und Leichtathletik-Verband
schließt gleichfalls die jüdischen Sportvereine aus. |
Das früheste und gleichzeitig
besterforschte Beispiel der "Arisierung" eines Sportverbandes ist das der
Deutschen Turnerschaft (DT)und ihres größten Vereins, der Berliner
Turnerschaft. Bereits am 8./9. April 1933, also unmittelbar am Tage
nach Erlass des "Beamten"-Gesetzes, vollzog die DT in Person ihres Vorsitzenden
Edmund
Neuendorff diese ausschließende Maßnahme der Regierung nach
und forderte ihre jüdischen Mitglieder zum freiwilligen Austritt auf.
Ausgenommen, entsprechend dem Regierungserlass, waren solche Turner, ”die
am Weltkriege als Frontkämpfer teilgenommen haben oder deren Söhne
oder deren Väter im Weltkriege gefallen sind”. In Duplizität
der Ereignisse forderte auch diesmal wieder der - wiederum - eingeladene
völkische österreichische Deutsche Turnerbund den Ausschluss
der Juden aus der DT und machte seine Teilnahme am Deutschen Turnfest,
das 1933 in Stuttgart stattfand, von ihm abhängig. Im Unterschied
zum Münchener Turnfest von 1923, bei dem die Integration der Juden
und die Beständigkeit der deutschen Turner gegen den völkischen
Antisemitismus als ”Demonstration für 'deutsches Volkstum, deutsche
Einheit, Ehre und Freiheit'” gefeiert worden war, legte die Deutsche Turnerschaft
diesmal in anderer Weise Wert auf ein 'einheitliches Bild' und feierte
- in Anwesenheit Hitlers - gemeinsam mit dem österreichischen Turnerbund
und wider besseres Wissen in Stuttgart ihre ”Judenreinheit”. |
Das in der Eile seines Vollzugs
unerreichte, in seiner Radikalität in der Folgezeit aber von anderen
Verbänden vielfach nachempfundene Beispiel der Deutschen Turnerschaft
stellte - auch dies exemplarisch - den Reichssportkommissar und späteren
Reichssportführer bereits vor vollendete Tatsachen, bevor dieser überhaupt
in Amt und Würden war. Und auch kraft seines Amtes brauchte Tschammer
”nichts zu tun, um die Eliminierung jüdischer Sportler zu beschleunigen.”
Er konnte es sich, so Hajo Bernett, ”sogar erlauben, in einer Rede einen
'witzigen Seitenhieb auf die Eilfertigkeit der Turnerschaft' auszuteilen.”
Wie an anderem Ort noch auszuführen sein wird, ist die von Tschammer
geübte - für einen SA-Mann nicht unbedingt typische - Zurückhaltung
bei der Judenfrage in einen direkten Zusammenhang mit der Ausrichtung der
Olympischen Spiele 1936 zu stellen. |
b) Schicksale
ausgeschlossener jüdischer Sportler in exemplarischer Darstellung
In einigen Fällen sind
die persönlichen Schicksale von ausgeschlossenen jüdischen Sportlern
sowie die Umstände ihres Ausschlusses dokumentiert worden. Handelte
es sich um besonders populäre Sportler, so schlugen sich die Ereignisse
in der internationalen Publizistik nieder und sind dadurch unschwer zu
rekonstruieren. Um einen solchen Fall handelt es sich beispielsweise bei
dem seinerzeit besten deutschen Ranglistenspieler im
Tennis, Daniel Prenn, der im April 1933 von der Teilnahme
für die deutsche Mannschaft am Davis-Cup ausgeschlossen wurde. Eine
Wiener Zeitung schrieb: |
”Voriges Jahr noch, als
Prenn im Davis-Cup in einem mörderischen Kampf den vielfachen englischen
Meister Austin bezwang und damit für Deutschland zum ersten Mal einen
Sieg über die englische Tennismacht errang, gab es keine deutsche
Zeitung ohne Unterschied der politischen Richtung, die ihn, den 'Juden
Prenn', nicht in allen möglichen Tonarten verherrlichte und – für
sich, für Deutschland reklamierte. Heute schreiben dieselben Blätter,
dass Prenn kein Deutscher sein könne, da er – nun da er eben Jude
ist."
In England wendeten sich
der im voranstehenden Artikel genannte Bunny Austin und sein Kollege
Fred
Perry - auch er Gegner Prenns im Vorjahr - mit einem in der Times abgedruckten
Brief an die Weltöffentlichkeit:
”We have read with considerable
dismay the official statement which has appeared in the press that Dr.
D. D. Prenn is not to represent Germany in the Davis Cup on the grounds
that he is of Jewish origin. We cannot but recall the scene when, less
than 12 months ago, Dr. Prenn before a large crowd at Berlin won for Germany
against Great Britain the semi-final round of the European Zone of the
Davis Cup, and was carried from the arena amidst spontaneous and tremendous
enthusiasm." |
Drei Tage später, am
17. April, veröffentlichte die Times einen Bericht ihres Berliner
Korrespondenten mit dem Titel Nazi Ideals in Sport. Racial Feeling,
der über den Fall Prenn hinausgehend das zeitgenössische Dilemma
des deutschen Sports in wenigen Sätzen scharf umreißt. Der namentlich
nicht genannte Autor (”our own correspondent”) war zweifelsohne "vom Fach": |
”Berlin at Eastertide,
in spite of sunshine, clear skies, and an injunction from the Propaganda
Minister, Dr. Goebbels, 'to drink in full draughts the first German Easter
for many years', seemed to lack some of the colour and movement of former
easters. ... The old pre-War 'pack march' was revived – a 20-mile walking
contest for competitors carrying packs, in which many took part. This is
in line with the movement away from 'American forms of sport' and 'record
hunting' and towards military sports and field exercises... The national
revolution is leading to some curious situations in the sporting world.
The letter of Mr. Austin and Mr. Perry in The Times deprecating the exclusion
of Dr. Prenn from the German Davis Cup team has aroused interest among
those who have seen or heard of it – these things do not find their way
into the German Press nowadays.
Actually the Lawn Tennis
Association has taken no official decision and would probably be thankful
if the appointment of a 'Reich Comissioner for Sport' would relieve it
of the responsibility. The Nazi point of view, as privately expressed,
is that it is in present circumstances unthinkable that Germany, which
is systematically expelling Jews from the public services and professions,
should call on Dr. Prenn to represent her simply because he is the best
player in the country. ... Dr. Lewald, the German representative on the
International Olympic Committee, recently resigned his chairmanship of
the National Athletic Committee, which supervises all athletic organizations
and events in Germany. Dr. Lewald’s position seems to have become impossible
through the fact that his father, who was born in 1813, was of Jewish descent
and was baptized only 110 years ago." |
Dass - um nochmals abschließend
auf den Fall Prenn zurückzukommen - schließlich König Gustav
Adolf von Schweden im Anschluss an einen Empfang bei Hindenburg und Hitler
darauf bestand, ein Tennismatch mit dem Juden Prenn auszutragen, zeugt
von der bemerkenswerten Courage des Monarchen, ist aber gleichzeitig auch
einer der ausgesprochen seltenen - belegten - Fälle, in denen von
exponierter Stelle Solidarität mit den entrechteten Juden öffentlich
demonstriert wurde. Weder im Sport noch in anderen Lebensbereichen kam
- um es salopp auszudrücken - es all zu häufig vor, dass ein
diskriminierter Jude einen König zum Freund hatte. Weit weniger Aufhebens
wurde - im Vergleich zu Prenn - vom Ausschluss jüdischer Sportler
aus der Berliner Turnerschaft (BT) gemacht, wobei auch hier aber in einigen
Fällen durchaus prominente Mitglieder dem Arierparagraphen zum Opfer
fielen. |
Wie BERNETT darstellt, hatte,
entgegen offiziellen Verlautbarungen, in der BT eine interne ”Machtergreifung”
unter der Federführung eines ehemaligen Angehörigen der Brigade
Ehrhardt stattgefunden. Nach dem Vorbild Neuendorffs und der Deutschen
Turnerschaft forderte der neue BT-Führer Rupert Naumann am 8./9. April
die 60 jüdischen Vereinsmitglieder zum Austritt auf. Einige der Adressaten
leisteten aber offensichtlich mehr Widerstand als erwartet, denn am 11.
September desselben Jahres bat Naumann den DT-Vorsitzenden um Entscheidungshilfe,
da die versuchte Entfernung von Alfred Flatow, Geheimrat Prof. Dr. Straßmann,
Sanitätsrat Dr. Jacobi, Hans Kantorowitz, Kurt Liebenthal und anderen
verdienten Mitgliedern im Verein für ”Unzufriedenheit ” sorgte. Die
Replik von - Dr. Phil. - Neuendorff lautete wie folgt: |
”Deutschland hat unter
dem Judentum in den letzten Jahrzehnten so unendlich viel gelitten, die
deutsche Kultur, das deutsche öffentliche Leben, die deutsche Sittlichkeit
sind vom Judentum so stark verschandelt worden, dass wir da unter allen
Umständen einen ganz dicken Strich unter die Vergangenheit machen
müssen." |
Die durch Rupert Naumann
am 18. Oktober 1933 von neuem kundgetane Austrittsforderung führte
zu Reaktionen, die - so sie überliefert sind - auf einen durchaus
unterschiedlichen Impetus der einzelnen Urheber schließen lassen.
In einem ebenso kurzen wie aussagekräftigen
Schreiben, datiert vom 20. Oktober, teilt, nach 46-jähriger Mitgliedschaft,
Alfred Flatow dem Vorsitzenden seinen Austritt aus der Turnerschaft
mit:
”Für den Ausdruck
Ihrer persönlichen Gefühle danke ich verbindlichst. Über
meine eigenen Gedanken und Empfindungen bitte ich schweigen zu dürfen.” |
”How much is hidden in those
words of farewell” kommentierte 1980 PAUL YOGI MAYER die wenigen Worte
Flatows, die die Dimension der persönlichen Einsamkeit, Niedergeschlagenheit
und Isolation eines einzelnen Menschen in jener historischen Gesamtsituation
spürbar werden lassen und deren Hintergrund mit der bloßen Feststellung
von ”Resignation” (BERNETT) nicht annähernd umschrieben ist. |
Auf andere Reaktionen stieß
die Austrittsforderung indes bei Paul Straßmann und seinem Sohn Erwin.
Wie an anderer Stelle schon beschrieben , handelte es sich bei der Familie
Straßmann um eine hochgradig assimilierte Berliner Ärztefamilie
christlichen Glaubens, die sich dem Judentum nicht mehr zugehörig
fühlte. Genau dies drücken die Worte aus, die Paul Straßmann
an den BT-Vorsitzenden richtete: |
”Ich stehe selbstverständlich
mit ganzem Herzen auf dem Boden der nationalen Erhebung, ich werde sie
auch weiterhin als Deutscher und als Christ und, wenn ich kann, als Turner,
wo sich mir Gelegenheit bietet, unterstützen.”
Sein Sohn Erwin äußerte
sich dementsprechend:
”Die Frage meiner Abstammung
hat in meinem Leben bis zu diesem Jahr keine Rolle gespielt. Von christlichen
Eltern in strengstem Sinne christlich und national aufgezogen, habe ich
nie anders als deutsch gefühlt, gelebt und gehandelt. Mit dem sog.
Judentum hatte ich nichts zu tun.” |
Wie auch Alfred Flatow fügten
sich Vater und Sohn Straßmann dem Bestreben des Vereins zur "Vollarisierung".
Anders entgegnete der - sich vom Verein ja selbstauferlegten - Durchführung
des Arierparagraphen der Turnbruder Hans Kantorowitz. An einen freiwilligen
Austritt dachte er nicht. Er berief sich vielmehr auf die von Tschammer
getätigte und auf die Durchführung des Arierparagraphen gemünzte
Aussage von der ”Eilfertigkeit der Turnerschaft” und bezichtigte diese,
dass sie ”päpstlicher als der Papst” sein wolle. Auch wenn ihm der
BT-Vorsitzende konzedierte, ”dass die Tropfen nichtarischen Blutes in Ihnen
sicherlich sehr spärlich sind”, wurde der Aussage Kantorowitz’, dass
er ”nicht freiwillig, sondern nur gezwungen” den Verein verlassen werde,
letztlich entsprochen: man schloss ihn am 10. November 1933 aus der BT
aus. |
c) Ausschluss
der jüdischen Vereine aus deutschen Sportverbänden
Wenn die paritätischen
Vereine 1933 ihre jüdischen Sportler ausstießen, dann war es
nur folgerichtig, dass die paritätischen Verbände an den - wenigen
- jüdischen Klubs dasselbe Exempel statuierten. Der Ausschluss des
SC Bar Kochba Berlin, damals größter jüdischer Sportverein
in Deutschland, aus dem Verband Brandenburgischer Athletik-Vereine (VBAV)
steht exemplarisch für die vielen heute nicht mehr rekapitulierbaren
Ausschlüsse jüdischer Sportvereine. Den Vorgang schildert in
der Retrospektive ROBERT ATLASZ:
”Im März rief uns
der Vorsitzende des Brandenburgischen Sportverbandes an und bat uns angesichts
der veränderten Verhältnisse, unseren Austritt aus dem sogenannten
Verband VBAV ... zu erklären. Zu seinem größten Bedauern
müsste er diesen Schritt tun - wir wären doch immer in besten
Beziehungen miteinander gewesen (stimmt) - aber sonst müsste er zurücktreten.
Wir lehnten das natürlich ab und sagten, man solle uns ruhig hinauswerfen,
das würde sich auch auf die kommenden Olympischen Spiele auswirken.
Er bedauerte, am nächsten Tage wurden sowohl er wie wir herausgeworfen.
Das selbe geschah dann auch in allen anderen Fachverbänden.” |
|
Neuorganisation
des jüdischen Sports
a) Die
Krise der Ausgeschlossenen
Unter den diskriminierten
jüdischen Sportlern trugen diejenigen des Bar Kochba und der anderen
als Gesamtheit ausgeschlossenen jüdischen Vereine noch das vergleichsweise
günstigste Los: Im Angesicht der immer prekärer werdenden Lebenssituation,
die von Verboten, von zunehmend stärker werdender Verfolgung und Isolation
sowie von ständiger Angst vor - oftmals organisierter - spontaner
”Volkswut” geprägt war, stellte der soziale Zusammenhalt des Vereinslebens
für viele der Betroffenen den einzig noch verbliebenen ruhenden Pol
des Lebensalltags dar. Für die große Mehrheit der jüdischen
Sportler galt indes das genaue Gegenteil. Sie waren - wie erwähnt
- bislang in den paritätischen Vereinen organisiert gewesen und fanden
sich oftmals von einem Tag auf den anderen als nun Ausgesperrte buchstäblich
im 'luftleeren Raum' wieder - bar jeder Möglichkeit, sich weiter sportlich
zu betätigen, bar oft auch aller - über den Sport hinausreichenden
- gemeinschaftlichen Aktivitäten.
Zwei Möglichkeiten,
wie mit diesem Zustand umgegangen werden konnte, veranschaulichte DerGelbe
Fleck: verbitterter Rückzug einerseits, Auswanderung andererseits.
In der Tat treffen diese beiden Möglichkeiten auf die Sportler zu,
deren Beispiele oben exemplarisch behandelt worden sind: Daniel Prenn -
wie die meisten der jüdischen Spitzensportler - wanderte aus , die
Turnbrüder Flatow, Straßmann und Kantorowitz zogen sich zurück.
Einen weiteren, und wie sich herausstellen wird, durchaus reellen dritten
Weg bot in der bezeichneten Situation der Eintritt in einen der jüdischen
Sportvereine, die im Makkabi-Verband, im Sportbund "Schild" oder in einem
der anfangs noch sporadisch existierenden neutralen jüdischen Sportverbände
organisiert waren. |
b) 1933:
Erste Maßnahmen der jüdischen Sportorganisationen
Die Neuaufnahme jener Sportler,
die in ihren bisherigen Verbänden und Vereinen der Durchführung
des Arierparagraphen anheimgefallen waren, führte zu einem vorher
nie erwarteten Aufschwung des jüdischen Sports und ließ
die beiden großen und maßgeblichen jüdischen Sportverbände
- gemessen an der Gesamtzahl der deutschen Juden - zu regelrechten Massenorganisationen
anwachsen. Im Jahr 1936, als rückblickend der Höhepunkt des jüdischen
Sports in Deutschland schon erreicht war, erfaßten beide Verbände
mit etwa 42.500 Mitgliedern - 21.500 im Deutschen Makkabikreis, 21.000
im Sportbund "Schild" - zusammen rund 10 Prozent der jüdischen
Gesamtbevölkerung in Deutschland, die sich im April jenes Jahres auf
ca. 409.000 belief. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Lage im
deutschen Sport beschränkten sich Makkabi und Schild - 1933 - zunächst
auf bloßes Reagieren. |
c) Aufnahmesperre
für "marxistische" Sportler
Schon bevor jüdische
Sportler aus DRA-Mitgliedsverbänden ausgeschlossen wurden - mithin
also vor dem bevorstehenden 'Run' auf die jüdischen Verbände
- hatten, der Chronologie der Ereignisse entsprechend, Arbeitersportler
der aufgelösten Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit bzw.
der Zentralkommission für Sport und Körperpflege um die Aufnahme
in Makkabi und "Schild" ersucht. Gleich dem Verhalten des DRA und seiner
Mitglieder lehnten auch die jüdischen Organisationen solcherlei Gesuche
kategorisch ab. Am 31. März 1933 veröffentlichte die Jüdische
Rundschau die folgende Mitteilung:
”Da die Nachrichten sich
mehren, dass Mitglieder verbotener und aufgelöster Organisationen,
insbesondere der kommunistischen Arbeitersportbewegung, versuchen, Aufnahme
in die Vereine der Makkabi-Bewegung zu erlangen, hat das Präsidium
des deutschen Makkabi-Kreises sich veranlaßt gesehen, bis auf weiteres
eine absolute Aufnahmesperre für alle Vereine anzuordnen.”
Diesem Standpunkt entsprach
auch der des RjF-Sportbundes "Schild": Die in anderen weltanschaulichen
Fragen chronisch uneinigen jüdischen Sportorganisationen einte - mit
unterschiedlichen Prämissen - in diesem Fall ihr Antikommunismus. |
d) Makkabi
und "Schild" als Sammelbecken
Bis letztlich im Frühjahr
1934 die ”Austreibung ” faktisch - nicht gesetzlich - abgeschlossen war,
nahmen die beiden auf eine Vervielfachung ihrer Kapazität gänzlich
unvorbereiteten Verbände die Funktion eines Sammelbeckens für
die ”heimatlos” gewordenen jüdischen Sportler ein. Der Makkabi ließ
schon bald von der rigorosen Linie des allgemeinen Aufnahmestopps ab. Am
5. Mai 1933 hieß es: |
”Der Ausschluss der jüdischen
Turner und Sportler aus den deutschen Verbänden und Vereinen stellt
uns vor neue Aufgaben. ... Heute gilt es, allen jüdischen Turnern
und Sportlern, die heimatlos geworden sind, unsere Reihen zu öffnen.
Der Deutsche Makkabikreis fordert alle diejenigen, welche sich heute auf
ihr Judentum besonnen haben, auf in die Makkabi und Bar Kochba-Vereine
Deutschlands einzutreten und mit uns zusammen für eine schönere
und hoffnungsvollere jüdische Zukunft zu kämpfen.” |
Der Sportbund "Schild" versuchte
hingegen zuerst, seine assimilatorische Politik aus der Zeit vor 1933 aufrechtzuerhalten
und - wie in einer von Walter Beck gezeichneten Mitteilung
der Bundesleitung des RjF vom 8. Mai verlautbart wurde -
”unter allen Umständen
... unseren jüdischen Sporttreibenden ein weiteres Verbleiben in ihren
bisherigen Sportverbänden zu ermöglichen, um ihnen auf diese
Weise Gelegenheit zu geben ihre Leistungen gemeinsam mit ihren christlichen
Sportkameraden wie bisher zu fördern.” |
Dass ein ”wie bisher” für
Juden in Deutschland im Mai 1933 nicht angezeigt war , war offensichtlich
längst kein Allgemeingut. Den Zielen des Reichsbundes jüdischer
Frontsoldaten korrespondierte die sich bereits vollziehende Dissimilation
- dies steht fest - in gar keinem Falle. Nur für den Fall eines Scheiterns
der oben aufgeführten Absichten fasste man ”den Zusammenschluss sämtlicher
jüdischer Sportvereine ... unter Hinzuziehung der bisher paritätischen
Vereinen angehörenden jüdischen Sportler” ins Auge. Dies wiederum
sei dann ”unter alleiniger Führung des RjF” zu vollziehen. Das Vorgehen
des Frontbundes in der gesamten Angelegenheit mutet in äußerstem
Maße konspirativ an, wenn davon die Rede ist, dass ein öffentliches
Bekanntwerden seiner Absichten ”aus taktischen Gründen ... nicht für
opportun” gehalten werde und man ”das nötige Adressenmaterial sämtlicher
jüdischer Sportler allerschnellstens” durch einen ”hierfür geeigneten
Kameraden” zu erschließen gedenke. |
Im Lager des Makkabi war
man indes - auf welchem Wege auch immer - über die Pläne des
Frontbundes informiert. Nur wenige Tage nach dem Erscheinen des - inoffiziellen
- Mitteilungschreibens des RjF attackierte der Vorsitzende des Berliner
Bar Kochba, ALFRED RABAU, dessen Pläne in einem Zeitungsartikel massiv:
”Grotesk muß es
anmuten, wenn jetzt Vertreter der extremsten jüdischen Assimilation
sich an die Spitze einer 'Bewegung' zur Schaffung einer jüdischen
Sportorganisation stellen, während sie noch vor wenigen Monaten gegen
jüdische Sportplätze waren, weil es nicht zu den Aufgaben der
jüdischen Gemeinschaft gehöre, für die sportliche Betätigung
ihrer Jugend zu sorgen! Und die der jüdischen Jugend den Rat gaben,
in nichtjüdischen Vereinen Sport zu treiben! Das können nicht
die Führer der jüdischen Jugend sein!” |
Die ständige Auseinandersetzung,
die das Verhältnis beider Lager in der Folgezeit kennzeichnen und
beeinträchtigen sollte, zeichnete sich hier bereits unübersehbar
ab. Sie trug aber auch, nachdem die assimilatorischen Hoffnungen auf einen
Verbleib jüdischer Sportler in ihren bisherigen paritätischen
Vereinen endgültig ad acta gelegt worden waren, dazu bei, dass - wie
zunächst bloß der Makkabi-Verband - auch der Reichsbund jüdischer
Frontsoldaten die Situation als Chance begriff, seinen Einflussbereich
auszuweiten um seine Weltanschauung einer neuen und gleichzeitig größeren
Mitgliedschaft nahezubringen. Am 30. Mai 1933 wurde der dem Frontbund bis
dahin bloß korporativ angeschlossene "Schild" von der RjF-Bundesleitung
in den Rang des Sportbundes im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten
erhoben, ”der die Arbeiten und Leistungen eines Sportverbandes” bei Ausübung
der entsprechenden ”weitestgehende(n) Propaganda” zu übernehmen hatte. |
Verlässt man die "Funktionärs"-Perspektive,
so stellte sich - für einen "heimatlosen" jüdischen Sporttreibenden
- der weltanschauliche Antagonismus zwischen Makkabi und "Schild" durchaus
als sinnstiftend dar. Wollte er weiter Sport treiben und nicht die im Gelben
Fleck aufgezeigten Wege gehen, so hatte er keine anderen als die beiden
folgenden Möglichkeiten:
- Sport zu treiben in einem
zionistischen Verband einerseits;
- Sport zu treiben in einem
nicht-zionistischen Verband andererseits. |
Jenseits politischer oder
weltanschaulicher Motive, dies betont rückblickend PAUL YOGI MAYER,
kam die Mitgliedschaft eines Sportlers in einem der beiden Verbände
in vielen Fällen aufgrund persönlicher Freundschaften oder
anderer Umstände zustande, so dass - unterhalb der Funktionärsebene
- durchaus die Möglichkeit zur übergreifenden Verständigung
gegeben war: |
”... both Makkabi and
"Schild" competed for those thousands not yet sure where to go. Many communities
were too small to support two organizations, in others a well-known Jewish
club was already in existence. And so Zionists joined "Schild" clubs and
non-Zionists found their way into Makkabi groups.” |
Rund 15.000 jüdische
Sportler hatten sich bis zum Ende des Jahres 1933 einem der beiden Verbände
als Mitglieder angeschlossen: ca. 8.000 dem Makkabi, ca. 7.000 dem "Schild". |
Bibliographische
Anmerkung zur vorliegenden Textauswahl |
|
Kapitel
4: Die Olympischen Spiele 1936 |
Übersicht:
Jüdischer Sport im NS-Deutschland |
Ausstellungsprojekt
Sport unter dem Davidstern |
|
Texte und Tabellen ©2000
s-port.de [Tegelbeckers]
[Homepage]
·
|