"Weltenwanderer
ohne Kompromiss"
Es ist keine Übertreibung,
den ungarischen Juden Béla Guttmann als avantgardistische Figur
eines zu seiner Zeit längst noch nicht globalisierten Weltfußballs
zu kennzeichnen. In sechs Jahrzehnten als Fußballspieler und Trainer
war Guttmann in 13 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas hauptberuflich
tätig (für wenigstens 24 verschiedene Vereine sowie teils haupt-,
teils ehrenamtlich für drei Nationalteams). |
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Béla
Guttmann (1899-1981) |
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Auf dem Höhepunkt
seiner Trainerlaufbahn triumphierte er mit Benfica Lissabon zweimal hintereinander
- 1961 und 1962 - im Europapokal der Landesmeister und durchbrach mit seinem
Team so die Vorherrschaft von Real Madrid, das die Königsklasse des
europäischen Fußballs seit ihrer Einführung (1955/56) bis
dahin fünf Mal in Folge gewinnen konnte. Diese beiden Titel, sowie
insbesondere die Art und Weise, wie die Finals gegen Barcelona (1961 in
Bern) und Real Madrid (1962 in Amsterdam) mit begeisterndem Angriffsfußball
gewonnen wurden, machten den - zuvor durchaus schon erfolgreichen - Trainer
Guttmann in der Wahrnehmung der Fußballwelt zum "Erfolgstrainer". |
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Um genau diesen ranken sich
nicht erst seit seinem Tod im Jahr 1981 etliche Mythen: Zwar sagt der Name
Guttmann zahlreichen Fußballexperten heute nicht mehr viel, dennoch
sind es nicht eben wenige Stimmen, die ihm posthum große, manchmal
auch fabelhafte Taten (wie etwa den Gewinn eines argentinischen Meistertitels
mit dem Team von Peñarol Montevideo) nachsagen. Unter anderem gilt
Guttmann als einer der Urheber für die Erfolge, die das brasilianische
Nationalteam bei den Weltmeisterschafts-Turnieren 1958, 1962 und 1970 erringen
konnte. Das kreative und angriffsbetonte brasilianische 4-2-4, das den
traditionell "W-M" spielenden Fußballmannschaften jahrelang die größten
Probleme bereitete, war - wenngleich nicht von Guttmann selbst erfunden
- ein ungarischer Import. Durch Béla Guttmann fand es in Brasilien
Verbreitung, als dieser ab Anfang 1957 den São Paulo Futebol Clube
trainierte. |
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Bereits in den 20er Jahren
war Guttmann als herausragender Spieler in Erscheinung getreten – unter
anderem in der ungarischen Olympiamannschaft sowie als Mittelläufer
des populären Teams von Hakoah Wien, das damals als rein jüdische
Elf für weltweites Aufsehen sorgte. |
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Die jüdische Sportbewegung
stellte die entscheidenden Weichen im Leben des Ungarn: Über ein Jahrzehnt
lang trug Béla Guttmann als Spieler das Trikot mit dem Davidstern
- von 1922 bis 1926 in Wien, danach bis 1932 in den USA. |
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Béla
Guttmann im Trikot von Hakoah Wien (1925) |
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Als Guttmann im September
1926 zu den New York Giants wechselte, stand der Wirtschaftsboom der "Roaring
Twenties" in voller Blüte, und der bislang "nur" Fußball spielende
Ungar wurde zur Ausweitung seines professionellen Wirkens auf die unterschiedlichsten
neuen Tätigkeitsfelder inspiriert. |
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Bereits nach einigen Wochen,
im Oktober 1926, berichtete die Wiener Presse von kommerziell vermarkteten
Bühnenauftritten, die mehrere ehemalige Wiener Spieler um Béla
Guttmann als "Sportartisten" in amerikanischen Varietés absolvierten.
1927 hatte es Guttmann dann zum Teilhaber an der größten Bar
New Yorks gebracht und konnte nach eigenem Bekunden - und bis im Oktober
1929 der "Black Friday" kam - binnen drei Jahren ein beträchtliches
Vermögen erwirtschaften. |
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"Der Zirkus
Hakoah in New York". Die Karikatur des Wiener Illustrierten Sportblatts
stellt Béla Guttmann als Dressurreiter eines Fußball spielenden
Esels dar - als Zirkustruppe um ihn herum weitere frühere Wiener Hakoah-Spieler |
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Mit der Elf von Hakoah New
York bereiste der Spieler Guttmann erstmals Uruguay, Argentinien und Brasilien
- in allen Ländern sollte er später auch als Trainer tätig
werden. Besonders an Brasilien dachte Béla Guttmann zeitlebens dankbar
zurück, denn im doppelten Sinne lag hier der Grundstein für seine
glücklichsten Jahre als Trainer in Portugal. Kurz nach dem Ausbruch
des Zweiten Weltkrieges war der ungarische Jude Guttmann aus Budapest abgetaucht.
Als er nach Kriegsende ebendort unvermittelt wieder auf der Bildfläche
erschien, war er - anders als zuvor - der portugiesischen Sprache mächtig: |
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In Brasilien hatte er Zuflucht
vor den Nationalsozialisten gefunden und entkam so dem Schicksal seiner
vielen jüdischen Schicksalsgenossen, die in Europa Opfer der Shoah
wurden. |
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Entnommen
aus: |
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W.
Ludwig Tegelbeckers |
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Béla
Guttmann - Weltenwanderer ohne Kompromiss |
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In:
Davidstern
und Lederball |
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Göttingen
2003, 347-368 |
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Béla
Guttmann: Trainerstationen 1933-1974 |
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Hakoah
Wien: "Mutter des jüdischen Sports"
Friedrich
Torberg: "Warum ich stolz darauf bin"
Auswahl:
Literatur zur Geschichte des jüdischen Sports |
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