Quo vadis, Fußball?
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Quo vadis, Fußball
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  Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik
 

Quo vadis, Fußball?
Diskussion, III.2 (Auszug)

Verein und soziale Gemeinschaft, Gesundheit und Fitness, Assoziation und Integration
 
Hans-Jürgen Schulke:   

Walfried König hat von der großen Zahl der Vereine mit unter 50 Mitgliedern gesprochen. Ich selbst bin seit 20 Jahren Vorsitzender eines kleinen dörflichen Vereins im Teufelsmoor, wo sich ganz andere soziale Strukturen, ökonomische Probleme und Entwicklungsprozesse darstellen als beispielsweise bei Werder Bremen, wo ich mittlerweile auch einen ganz guten Einblick habe. Vor diesem Hintergrund, meine ich, sollen wir zum einen in der allgemeinen Diskussionsperspektive sehen, dass die Bundesliga-Fußballvereine - das ist ja eine Spezies weniger Vereine unter den 86.000 Turn- und Sportvereinen, die wir in Deutschland insgesamt haben, eine winzig kleine Spezies mit einer natürlich enormen Medienpräsenz -, dass wir es also bei den Fußball-Bundesligavereinen durchaus mit sozialen Integrationsprozessen zu tun haben. Erstens, wie es Willi Lemke eben nochmals deutlich gesagt hat, auf der Ebene der Zuschauer, der Kommune und dem was dahinter steht, und sicherlich auch im Spielbetrieb. Das Beispiel türkischer Jugendlicher, das hier genannt wurde analog zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Gehrmann, zu den Masuren und den ethnischen Gruppen, die es dort gegeben hat. 

Aber Willi Lemke hat ja einen anderen Aspekt auch genannt, unter dem Aspekt Verantwortung, wo es sozusagen nicht aus der Dynamik und der Medienpräsenz des Bundesligafußballs heraus erwachsen ist, sondern ein bewußter Gestaltungsprozess des Vereins ist. Hier eine Verantwortung zu übernehmen, und ich glaube, so begreife ich auch das, was Willi Lemke hier angesprochen hat, welches gesellschaftliche Gestaltungspotential sich eigentlich in dieser einzigartigen Organisationsform Verein entwickelt. Und ich denke, dort ist das, was Du gesagt hast, untypisch für die Bundesligalandschaft und möglicherweise sogar strukturwidrig. Es ist ein Spagat, einerseits mit  den Kommerzialisierungstendenzen zurechtzukommen und andererseits jetzt noch soziale Aufträge zu erfüllen, die auch immer Geld kosten. 

Ich bin gestern bei einem Hamburger Vorortverein, der TSG Bergedorf, gewesen. Dieser Verein hat inzwischen 11.000 Mitglieder, 50 hauptamtliche Mitarbeiter, 600 nebenamtliche Mitarbeiter, hat vor einigen Monaten ein eigenes Sportzentrum, das vierte Sportzentrum, das er inzwischen hat, für 20 Millionen Mark in Eigenmitteln erstellt. Kindergarten, Seniorenzentrum, eigenes Schwimmbad, Gastronomie und vor allen Dingen ein großes Gesundheitszentrum. Er hat auch ein Joint-Venture mit einem ambulanten Reha-Zentrum aufgebaut und das ist sozusagen dann die Verbindung zu dem, was Werder Bremen macht. Das heißt, der eigentliche Einnahmebereich, salopp formuliert die Cash-Count des Vereinssports ist heute der Breiten- und vor allem der Gesundheitssport - Paragraph 20, wie vorhin schon angesprochen - und nicht der Profisport. Überall wo Profisport auf Vereinsebene betrieben wird sieht man, dass das finanziell eine ganz wackelige Geschichte ist. Und ich denke, dass Werder Bremen hier eigentlich einen Versuch  macht - und wenn ich das richtig sehe, dann ist das ein untypischer Versuch - diesen Bereich eigentlich bewusst mit zu sehen und mit zu gestalten bis hin zum Sport-Hep und zu Breitensportangeboten in anderen Feldern usw. 

Und das wäre für mich sofort eine Diskussionsperspektive: Werden eigentlich die Fußball-Bundesligavereine zu Monolithen, Tendenz Aktiengesellschaft, oder zu welcher Form sich das dann immer auch entwickelt, losgelöst von dem üblichen Spielbetrieb, oder werden sie sozusagen Großvereine, die auf relativ solider finanzieller Basis stehen und sich dann auch noch durch Fördergesellschaften, GmbHs oder wie auch immer angegliedert eine Bundesligamannschaft halten, die aber sozusagen nur bedingt noch mit dem Verein verbunden ist. 

Willi Lemke:

Ich finde den Verein so, wie Hajo Schulke ihn schildert, sehr sympathisch - aber er hat ein anderes Thema. Das ist ein ganz anderer Verein als der SV Werder Bremen. Der SV Werder ist eigentlich ein Verein, Hajo, der einerseits den Charme hat, noch so etwas Familienbezogenes zu haben - und darum kämpfen wir. Bei der Hundertjahrfeier hat das Präsidium beschlossen: Jedes Mitglied erhält die Möglichkeit unmittelbar an den großen Feierlichkeiten teilzunehmen. Entweder an der Kohl- und Pinkelfahrt - 380 Mann, rustikal. Da kann jeder kommen, jeder ist eingeladen, der Verein bezahlt alles. Oder wenn einer lieber den Smoking anzieht und mit dem Bundeskanzler da ‘rumtanzen möchte, dann kann er ins Kongreßzentrum kommen, das sind auch 2.500 Leute gewesen. Ja und wer sagt: Damit hab ich nichts am Hut, mit Saufen hab ich nichts am Hut, aber ich möchte gerne hier zur Ausstellungseröffnung ins Focke-Museum eingeladen werden, dann kann er das auch. Also das ist ein unheinlicher Anspruch, das ist im Prinzip die Position, die Klaus-Dieter Fischer seit Jahrzehnten aufrechterhält, für die er unheimlich kämpft und wofür die Amateurabteilungen ihm noch in den nächsten Jahrzehnten im Prinzip dankbar sein müssen, weil er der Garant dafür ist, dass diese Dinge alle so familiär durchgeführt werden in diesem Verein. Das ist das eine Bein.

Aber das andere Bein ist eben, Hajo, und das läßt eigentlich dieses Wachstum zu dem Großverein, so wie Du es geschildert hast, im Prinzip nicht zu: Derjenige, der das alles bezahlt, oder der das bei uns organisiert, antreibt, vorantreibt, das ist der Bundesligafußball. Und das bedarf der gesamten Kraft derjenigen, die das organisieren. Wir haben gerade eine Analyse gemacht. Wir sind einer der Vereine, die das bei weitem wenigste Geld ausgeben, was die Kosten anbelangt. Wir nehmen nicht ganz soviel ein wie vergleichbare Vereine, aus verschiedenen strukturellen Gründen, aber wir sind sehr sehr kostenbewußt in Bremen. Manche sagen wir seien sehr sehr sparsam, da gibt es auch noch ein anderes Wort dafür...

Wir konzentrieren uns auf den Verein - und er ist bei uns ein Verein, das ist eine Gemeinschaft - natürlich, sehr stark bezogen auf die Abteilungen, aber auch insgesamt durch das, was ich eben mit den Jahrhundertfeierlichkeiten geschildert habe, da ist ein funktionierendes Vereinsleben spürbar. Da sind nicht irgendwo 50.000 imaginäre Karteileichen. 80 Prozent unserer eingetragenen Mitglieder treiben Sport, und darauf sind wir stolz obendrein. Wir sagen nicht: Oh wie schön, dass die alle Kohle bezahlen, und wunderbar, schippen wir ‘rein, damit die Profis noch ein bisschen mehr Geld haben, sondern wir sind richtig stolz darauf. Und es ist natürlich das Steckenpferd von Klaus-Dieter Fischer, dass er sagt: Wir wollen, dass die Leute bei uns die Möglichkeit haben, Sport zu treiben. Und das bleiben wir auch. Jedenfalls solange dieses Präsidium bei uns da ist, wird das weiter von uns betrieben. 

Narciss Göbbel:

Ich würde gerne noch eine Nachfrage anhängen. Kann man von der Größe feststellen, wann ein Verein noch ein Verein ist? Also sozusagen von der Quantität und Qualität, dieser Begriff Werder als Familie hat ja sozusagen einen charmanten Beigeschmack, der sich möglicherweise auch bei 3.000 Mitgliedern noch trägt. Aber 11.000, das ist eine sportliche Großorganisation, die sozusagen Gesundheitsmanagement macht und möglicherweise nur den Namen TSG Bergedorf hat. Das wäre ja wichtig zu überlegen, weil Willi Lemke es so sehr pointiert gesagt hat. Wir gehen nicht in die Breite sondern behalten auch eine gewisse Größe, die auch noch überschaubare Kommunikationsbeziehungen nach innen und nach außen organisieren kann. Das fände ich auch noch interessant, ob da eigentlich eine quantitative Größe gleichzeitig eine bestimmte Qualität bedeutet oder außen vorläßt.

Rainer Müller:

Da würde ich gerne anschließen wollen. Was ist eigentlich noch ein Verein oder was sind die sozialen Arrangements für was eigentlich? Wir haben heute morgen darüber gesprochen, dass es um Spiel und um soziale Erfahrungen geht im Sinne von, das gehört nicht zur Warengesellschaft, sondern da bin ich Bürger, da nehme ich Teil an Kommunikation, an Spaß und Freude und habe so etwas wie auch Körpererfahrung. Und wenn ich dann gute Endorphine habe, dann geht es mir richtig gut. Diese Leiblichkeitsdimension spielt dort eine große Rolle, und auch bei diesem kulturellen Muster. Da ist jetzt meine Frage, will man das noch? Und zugleich haben wir heute morgen gehört, dass wir eine Kapitalisierung oder Ökonomisierung haben - was ist denn heute eigentlich noch dieses Öffentliche, die öffentliche Infrastruktur, eine öffentliche Verantwortung in dem Zwischenfeld von Staat und Gesellschaft und Verein? Und gibt es ein neues Mix, wir reden ja auch im Sozialpolitikbereich darüber, ein neues Mix, wo man einerseits cash-and-carry hat, Segmente hat, wo es um für mich unvorstellbare, ich finde auch amoralische Lohn-Leistungsverhälltnisse geht. Also, wie gestaltet sich ein neues Arrangement, um es dann noch mit diesem Anspruch oder auch mit dem lieben Curriculum zu integrieren. 

Auch hier also die Gesundheitsgeschichte, hier werden ja Leute integriert. Sie machen neue soziale Erfahrungen. Und wenn das dann gut läuft mit der Reha dort, dann erleben die ja wirklich eine neue Leiblichkeit, also auch neue kulturelle Muster und das sieht man im sozialen Kontext. Und nicht nur die hochindividualisierte technische Medizin. Also mich würde interessieren, wie man genau so ein Mix im Sinne von kultureller Geschichte, Dienstleistung, Reha und zugleich High-Tech und High-Profit hinkriegen und wie man zu neuen gesellschaftlichen Assoziationen kommen will in diesem Kontext, der sehr wichtig ist.

Dietrich Milles: 

Die Europäisierung ist in einem Aspekt sicherlich nur eine Chance, die Spirale, von der wir gesprochen haben, einen Dreh weiterzudrehen. Was Hans-Jürgen Schulke sagte, war aber eine interessante Überlegung, dass Wirtschaftlichkeit nicht unbedingt nur für die Bundesligafinanzen bedacht werden muss, sondern dass sich eben Wirtschaftlichkeit für den Verein auch dann rechnet, wenn er ein komplexeres Verständnis von dem, was ein Verein leistet, anbieten kann, entwickelt und dass sich das auch durchaus erfolgreich gestalten läßt. Dahinter steckt ja noch sehr viel mehr, also meines Erachtens auch die im historischen Vergleich deutlich werdende Deutung von Menschenbildern. Wenn wir jetzt das Beispiel nehmen, der Verein biete sehr viel mehr Entwicklung für Gesundheit. Was heißt Gesundheit? Gesundheit produziert Bilder von gutem Leben, was ihr ansonsten abhanden kommt, und produziert damit auch Leitbilder für Zusammenleben, für körperliche Ausbildung, die in den anderen Bereichen fehlen. Also wenn wir uns nochmal erinnern an das was Sie, Herr Gehrmann, gesagt haben, was gesellschaftliche Integration anbelangt - gerade auf die Problematik der Masuren -, dann sind das ja solche Menschenbilder, die damals eine echte Problematik darstellten, die mit solchen Leistungen des Vereins gelöst werden konnten. 

Allerdings im historischen Vergleich würde ich da problematisieren, dass wir heute gerade in dem Bereich der Ausländer eine andere Situation haben. Als Beispiel: Meine Schwiegereltern sind 1905 nach Gelsenkirchen-Buer gekommen, mit dem Namen Paczinsky, und genau in eben jene Zeit hinein. Die hatten die Chance, eine aufregende Industriegesellschaft zu erleben, in der sie ihre Leistungsbereitschaft entwickeln konnten und so eine große Übereinstimmung zwischen dem, was sie im Beruf taten und dem, was sie im Sport, im Fußball taten, vorhanden war. 

Und die Frage ist, ob das heute noch in der gleichen Weise so ist, ob die Gesellschaft die gleichen Lernprozesse anbietet, ob also das, was wir heute im Fußball lernen, in der gleichen Weise für irgendetwas anderes in der Gesellschaft noch taugt, und ob die Art und Weise, wie wir dieses Anbietenk, sich über Leistung in die Gesellschaft zu integrieren, heute etwa für junge Türken noch in der gleichen Weise eine Zielsetzung ist. Also etwa dauerhafte Beziehungen hier in Deutschland aufzubauen, was ein Merkmal von Integration wäre. Oder am gesellschaftlichen Leben so teilzunehmen, oder auch die Rollen zu übernehmen und auszufüllen, ob das das gleiche ist heute wie damals. Im historischen Vergleich wäre ich da sehr im Zweifel und würde sagen, wir stehen heute vor qualitativ anderen Aufgaben, wobei allerdings dann wieder die Frage wäre, ob nicht solche Leistungsbilder und Menschenbilder die Gesundheit liefern kann - eine spannende Stärke des Vereins, die also eine neugewonnene Stärke des Vereins sein könnte. 

Hans-Jürgen Schulke: 

Der Verein, von dem ich berichtet habe - ich könnte einige Dutzend weitere Beispiele nennen - hat die größte Integrationssportabteilung, sprich: wo Behinderte in den Verein einbezogen werden, hat zwei hauptamtliche Mitarbeiter eingestellt in Streetball, das befindet sich am Rande eines Neubaugebiets mit einem extrem hohen Ausländeranteil, in dem Basketball, Straßenfußball usw. mit entsprechend integriert, also ganz bewußt solche Tendenzen aufnimmt und - das wäre noch interessant zu der Frage von Rainer Müller, was das für Assoziationsformen sind, dass in den Fitness-Studios, die dieser Verein auch betreibt, sich eben auch neue Assoziationsformen entwickeln von Personen, die eben nicht mehr individualisiert nach ihrem Zeitbudget kommen, sondern sich zu ganz bestimmten Zeitpunkten mit ganz bestimmten Menschen treffen und wieder mindestens gruppenähnliche Formen einer distanzierten Intimität entwickeln.

Und zu Narciss Göbbel. In der Tat, der gesamte Verein ist nicht mehr der intime Verein, wie wir ihn vielleicht aus den fünfziger Jahren heraus kennen. Aber innerhalb der Abteilungen wird sehr bewußt die soziale Integration gepflegt und das Label des gesamten Vereins ist ganz bewußt: Ich gehöre zu dem Gesamtverein, der ein Verein ist mit hoher sozialer Verantwortung, kommunaler Verankerung, gesundheitlicher Orientierung, Umweltverträglichkeit, und das gefällt mir, ohne dass ich von dem ganzen Verein ja viel mehr weiß. Es gibt eine hervorragende Vereinszeitung, wo ganz klar gesagt wird, Mittel, die wir als gemeinnütziger Verein haben, werden für den Behindertensport, werden für Ausländerintegration, für Jugendzeltlager usw. eingesetzt. und das findet Akzeptanz.

Christian Hinzpeter:

Das ist in meinen Augen ein sehr interessanter Aspekt und letztlich die Verlängerung dessen, was ich sagen wollte. Ich fand den Vortrag von Herrn Dr. Gehrmann sehr interessant, denn mit Helmut Schulte sitzt der FC Schalke der neueren Prägung hier ja zum Teil neben mir. Die Jugendabteilungschefs, so etwas hat man heutzutage mit einem auch einigermaßen ausgestatteten Etat, wenn ich das richtig weiß - Herr Assauer ist ja nicht richtig verdächtig, sozusagen dann wieder die Verlängerung der Interessen der Masuren von damals zu sein... Diese historische Betrachtung sozusagen dessen, wo kommt das eigentlich her, warum identifiziert sich heute ein normaler, man muss das leider ja so sagen, Arbeitsloser aus dem Revier mit diesem Verein so unglaublich, das kommt eben mit aus diesen unerklärbar, aber aus einer sehr langen Vergangenheit heraus getragenen Geschichte.

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