Sport
unter dem
Davidstern.
Vortrag
Werner
T. Angress
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Vortrag.
Bremen, Staatsarchiv, 16. November 1999
Prof.
em. Dr. Werner T. Angress
University
of California, Berkeley; State University of New York, Stony Brook
Jüdische
Jugend im Umbruch nach 1933 -
Schule, Freizeit,
Beruf |
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Obwohl man es am 30. Januar
1933 keineswegs ahnen konnte, bedeutete dieses Datum für Deutschlands
jüdische Bürger den Anfang des Auflösungsprozesses einer
wechselvollen, und seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer weiter fortschreitenden
Assimilation. Die Entwicklung dieses Prozesses, der zur Vertreibung und
schließlich Vernichtung nicht nur der deutschen Juden führte,
ist zumindest in seinen großen Zügen bekannt, und ich könnte
ihn aus Zeitgründen heute auch nicht einmal im Überblick behandeln.
Stattdessen beschränkt sich dieser Vortrag auf einen besonderen Teilaspekt
dieses eben erwähnten Auflösungsprozesses, nämlich auf die
Lage der jüdischen Jugend während der nationalsozialistischen
Zeit. |
Um welche Altersgruppen
der Jugend handelt es sich? Gemeint sind vor allem diejenigen, die zwischen
1915 und 1925 geboren wurden und also damals schon alt genug waren, um
die nationalsozialistische "Machtergreifung" mit all ihren Folgen bewußt
mitzuerleben. Zahlenmäßig ergibt sich dabei annährend folgende
Übersicht: nach der Volkszählung vom Juni 1933 gab es in Deutschland
noch 499.682 Glaubensjuden. 1937 waren es noch ca. 350.000, und Ende 1938
nur noch 297.000. 1933 schätzte die Reichvertretung der deutschen
Juden die Zahl der schulpflichtigen jüdischen Kinder, also der Jahrgänge
1919 bis 1927, auf ca. 60.000. Diese Zahl schließt aber weder diejenigen
Kinder ein, die eine höhere Schule besuchten - die Schulpflicht endete
mit 14 Jahren -, noch diejenigen, die im April 1933 ihre Schulbildung abgeschlossen
hatten und als Lehrlinge in kaufmännische oder andere Betriebe eingetreten
waren. Insgesamt belief sich im Juni 1933 die Zahl jüdischer Jugendlicher
im Alter von 6 bis 25 Jahren auf 116.961. Diese Zahl verminderte sich von
Jahr zu Jahr, so dass es im Januar 1938 in den gleichen Jahrgängen
nur noch 67.200 gab. Diese Angaben sollen lediglich einen ungefähren
Überblick über die Größe der Gruppe vermitteln, mit
der wir uns heute befassen. |
Bevor wir uns nun einigen,
aus zeitlichen Gründen leider nur ein paar der wesentlichsten Aspekten
unseres Themas zuwenden, soll vorangestellt werden, dass es bis Ende 1938
eine klar formulierte, einheitlich durchgeführte "Judenpolitik" seitens
der nationalsozialistischen Machthaber nicht gab. Die Ausschaltung der
Juden aus allen Bereichen des staatlichen Dienstes, der Wirtschaft und
der Gesellschaft zeigte keine gradlinige Entwicklung sondern war unsystematisch,
selektiv, willkürlich. Die naive Vorstellung, der man heute vielfach
begegnet, dass nämlich - etwas übertrieben formuliert - die Schornsteine
von Auschwitz und Treblinka schon im Frühjahr 1933 geraucht haben,
entspricht nicht den Tatsachen. Aber obwohl sich die "Lösung der Judenfrage"
im NS-Staat erst allmählich und sprunghaft anbahnte und deshalb unter
den Juden immer wieder falsche Hoffnungen erweckte, wurde gerade die junge
jüdische Generation von der 1933 erfolgten politischen Umwälzung
besonders schwerwiegend betroffen. |
Allerdings gab es eine Reihe
von Faktoren, die sich unterschiedlich auf jüdische Jugendliche auswirkten.
Zunächst einmal hing viel davon ab, wo man lebte. War das in
einer der deutschen Großstädte wie Berlin, Hamburg, Köln,
München, usw., so bot sowohl die Anonymität, die man in einer
großen Stadt noch weitgehend genoss, wie auch das Gefühl der
- relativen - Geborgenheit, die man in einer größeren jüdischen
Gemeinde verspürte, einen gewissen, allerdings ständig nachlassenden
Schutz vor antisemitischen Übergriffen radikaler Nazis. |
Viel schwieriger gestaltete
sich das Leben in den Kleinstädten, auf dem flachen Lande, aber auch
in einer Stadt wie Nürnberg, wo der "Frankenführer" und Herausgeber
des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer", Julius Streicher, vom
Anfang der NS-Herrschaft an den dortigen jüdischen Bürgern das
Leben schwer machte. |
Neben dem Wohnort trugen
aber noch andere Faktoren dazu bei, dass sich die nationalsozialistische
"Judenpolitik" unterschiedlich auf einzelne jüdische Gruppierungen
auswirkte. So war es von Bedeutung, ob ein junger Mensch aus einer sogenannten
assimilierten , also zumeist religiös liberalen wenn nicht gar säkularisierten
Familie kam und, zumindest bis zu den Nürnberger Rassegesetzen vom
September 1935, oft keine echte Bindung zum Judentum hatte, oder aber aus
dem orthodoxen beziehungsweise zionistischen Lager kam. Letztere beiden
Gruppen - bis 1933 Minderheiten im Gesamtbild des deutschen Judentums -
fanden durch ihre traditionsgebundene Religiosität bzw. ihren zionistischen
Idealismus größeren inneren Halt als die Kinder assimilierter
Eltern. |
Denn letztere - bis 1933
die große Mehrheit innerhalb des deutschen Judentums - sahen sich
vorwiegend als Deutsche, deren Religion zufällig die jüdische
war. Religionszugehörigkeit betrachteten sie jedoch als reine Privatangelegenheit;
man war eben jüdisch, wie die nichtjüdischen Nachbarn evangelisch
oder katholisch waren. Aber nun mußten sie erfahren, dass das neue
Regime ihnen ihr Deutschtum absprach und sie im September 1935 durch die
Nürnberger Rassegesetze zu Bürgern zweiter Klasse degradierte. |
Fernerhin war es von Bedeutung,
ob man aus einem wohlhabenden oder aus einem armen Elternhaus kam. Kinder
aus wohlhabenden Familien hatten es im allgemeinen leichter, verhältnismäßig
schnell auszuwandern, da die Eltern durch persönliche, vor allem aber
auch durch geschäftliche Beziehungen entweder selber Mittel und Wege
fanden, Deutschland zu verlassen und dann ihre Familie mitnahmen, oder
aber zumindest den Kindern die Auswanderung ermöglichten. Das war
für Kinder aus armen Familien viel schwerer, wenn nicht unmöglich,
und es ist eine traurige Tatsache, dass viel mehr ärmere als wohlhabende
deutsch-jüdische Familien umgekommen sind. |
Nach diesen allgemeinen
Bemerkungen wende ich mich nun mehr spezifischen Fragen zu. Eine der ersten
gesetzlichen Maßnahmen des NS-Regimes betraf speziell jüdische
Jugendliche, die zu diesem Zeitpunkt die Schule besuchten. Das war das
vom Reichsminister des Innern am 25.April 1933 erlassene "Gesetz über
die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen". Demzufolge,
wie eine am gleichen Tage erlassene Verordnung desselben Ministeriums festlegte,
durfte der Prozentsatz "nichtarischer" Schüler bei Neuaufnahme 1,5%,
im Falle der Herabsetzung der Schülerzahl bei Überfüllung
den Höchstanteil von 5% nicht überschreiten. |
Dieser "numerus clausus",
von dem Kinder jüdischer Frontkämpfer wie auch jüdischer
Ausländer zunächst einmal ausgenommen blieben, war nur ein Faktor,
auf die Dauer weitgehend "judenreine" Schulen zu schaffen. Ein zweiter
war die nach dem Januar 1933 in vielen deutschen Lehranstalten vorherrschende
antisemitische Atmosphäre. Denn was im Frühjahr 1933 einsetzte,
allerdings nicht gleichförmig sondern vielfach unterschiedlich, war
die Isolierung, die Entfremdung der deutschen Juden von ihrer Umwelt, und
davon wurden die Jugendlichen unter ihnen besonders hart betroffen. Viele
jüdische Kinder empfanden jeden Schultag als eine schwere seelische
Belastung. |
Nicht nur, dass der Unterrichtsstoff
rapide nationalsozialistisch gefärbt wurde, vornehmlich durch die
sogenannten Rassenkunde und die ständigen Hinweise auf das "Artfremde"
der "rassisch minderwertigen" nichtarischen Menschen, zogen sich allmählich
auch die meisten "arischen" Freunde und Freundinnen von ihren jüdischen
Mitschülern und Mitschülerinnen zurück. In vielen Fällen
wurde das wahrscheinlich ausgelöst vom Zwang der Situation, war aber
auch oft die natürliche Folge der antisemitischen Verhetzung, der
nichtjüdische Kinder in der Schule, im Elternhaus und vor allem in
ihren nationalsozialistischen Organisationen wie dem Jungvolk, der Hitlerjugend,
dem Bund deutscher Mädel täglich begegneten. |
Aber es waren nicht nur
Isolierung und Entfremdung, die für jüdische Kinder damals das
Leben an deutschen Schulen von Jahr zu Jahr trostloser gestalteten. Vielfach
- auch an den Hochschulen - führte die Verhetzung oft zu Hänseleien,
Beschimpfungen, Verhöhnungen und, sofern Rektor und Lehrkörper
da keinen Riegel vorschoben, auch zu tätlichen Angriffen. Zusätzlich
häuften sich Anordnungen der Schulbehörden, denenzufolge jüdische
Kinder an Klassenausflügen nicht mehr teilnehmen durften, keine Schullandheime
besuchen konnten, zum Klassenschwimmen nicht mehr zugelassen wurden. Somit
kam zur Isolierung, Entfremdung, Erniedrigung auch noch die fortschreitende
Einengung des täglichen Lebens, was alles zusammen für Jugendliche,
zumal wenn sie in der Pubertät steckten, schwer zu ertragen war. |
Allerdings muß man
hinzufügen, dass es auch örtliche Unterschiede gab, Lichtblicke
sozusagen, besonders im Anfangsstadium des "Dritten Reiches". Vor allem
in den Großstädten gab es gelegentlich Schulleiter, die jüdische
Kinder vor antisemitischen Ausschreitungen schützten und in ihren
Anstalten kein Nazirabaukentum duldeten. In Ausnahmefällen gab es
das auch auf den Dörfern und in Kleinstädten. Aber die Allgemeinlage
war in den Schulen überwiegend bedrückend. Demzufolge beschlossen
immer mehr jüdische Eltern, die auf dem Lande oder in Kleinstädten
lebten, vor allem ihrer Kinder wegen ihre Heimatorte zu verlassen und in
eine der Großstädte zu übersiedeln, wo das Leben anonymer
und es daher einfacher war, unbehelligt von antisemitisch verhetzten Nachbarn
zu leben, wo es auch noch größere jüdische Gemeinden gab,
denen man sich anschließen konnte, und wo vor allem die Schulsituation
generell noch etwas günstiger war, als in den kleinen Städten
und auf dem Lande. |
Das Wort "günstig"
muß jedoch in diesem Zusammenhang als sehr relativer Begriff bewertet
werden. Zusehends zeigte sich nämlich, dass die psychische Belastung,
der jüdische Kinder auf fast allen deutschen Schulen täglich
ausgesetzt waren, sich nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkte. Als "Fremdkörper"
höchstens geduldet, vom Kreis der "arischen" Klassenkameraden - oft
ehemalige Freunde - fortan abgesondert und häufig den Erniedrigungen
und Beleidigungen von Mitschülern und Lehrern hilflos ausgeliefert
- das war das Los eines Großteils der jüdischen Jugend auf den
Schulen. So ist es begreiflich, dass viele von ihnen unter psychischen
Störungen litten; dass, wie es 1934 ein Bericht der Reichsvertretung
der deutschen Juden, vorsichtig formulierte, "jüdische Kinder und
Jugendliche, die in nichtjüdischen Anstalten untergebracht sind, Schaden
an ihrer Entwicklung leiden." |
Wie das im Einzelfall aussah
geht z.B. aus den Erinnerungen des 1918 in Frankfurt am Main geborenen
Valentin Senger hervor. Dieser beschreibt, wie einer seiner Lehrer im Unterricht
Haßtiraden gegen Juden hielt und fährt fort: |
"Und ich saß stumm
dabei, mußte mir die angeblichen Frevel meiner Leute anhören
- und das alles in der salbungsvollen Stimme meines Gesanglehrers...Wie
ich dieses Schweigen, dieses Immer- nur- Dulden, dieses Nichtaufbegehren
verfluche! Mein ganzes Leben war davon geprägt. Noch heute entschuldige
ich mich zwanzigmal am Tage für alles und nichts... All meine Verlegenheit,
meine Unsicherheit, Unscheinbarkeit, die mir anerzogen wurden, damit die
Familie überleben konnte, liegen in dem Sich-Entschuldigen." |
Unter dem Zwang dieser Entwicklung
war es für die Reichsvertretung und die einzelnen Gemeinden naheliegend,
jüdische Schulen zu gründen, um damit dem wachsenden Druck zu
begegnen, dem die jungen Generation ausgesetzt war. |
Einige wenige jüdische
Schulen hatte es schon vor 1933 gegeben, insbesondere für die Kinder
der um die Jahrhundertwende und dann infolge des Ersten Weltkrieges nach
Deutschland eingewanderten sogenannten "Ostjuden" aus Rußland und
Polen. Diesen "Judenschulen" hatten die eingesessenen deutschen Juden,
ausgenommen der orthodoxen und zionistischen Minderheiten unter ihnen,
zumeist ablehnend gegenübergestanden. Auf Grund der Entwicklung nach
1933 änderte sich jedoch diese Einstellung. |
Unter dem Druck des anschwellenden
Antsemitismus, speziell an den staatlichen Schulen, wurden vor allem in
den großen und mittelgroßen Städten Lehranstalten für
jüdische Jugendliche geschaffen. Diese standen zwar offiziell unter
staatlicher Aufsicht, konnten aber im allgemeinen unbehindert von den Nazi
Behörden arbeiten. Diese hastig gegründeten Schulen waren für
die Mehrzahl ihrer Schüler eine annehmbare Alternative zu den staatlichen
Schulen mit ihrer für jüdische Kinder immer unerträglicher
werdenden Atmosphäre. In den zumindest bis Ende 1938 "sicheren" jüdischen
Schulen fanden sie eine Umgebung, in der sie unberührt vom Hass der
nationalsozialistischen Außenwelt lernen und sich frei entfalten
konnten. Außerdem boten diese Schulen vielen jüdischen Lehrern,
die infolge des "Berufsbeamtengesetzes" vom April 1933 als "Nichtarier"
aus den staatlichen Anstalten entlassen worden waren, die Möglichkeit,
ihre Lehrtätigkeit fortzusetzen. |
Nun waren die jüdischen
Schulen aber keineswegs problemlos. Oft litten sie unter räumlicher
Enge. Lehrpläne mußten zumeist erst einmal entwickelt werden,
wobei es gelegentlich zu Spannungen zwischen orthodoxen und liberalen,
zionistischen und nichtzionistischen Positionen führte. Schließlich,
vor allem nach Verkündung der Nürnberger Rassegesetze vom September
1935, fehlte die Kontinuität der staatlichen Schulen, da nunmehr viele
Schüler wie auch Lehrer auswanderten, gleichzeitig aber immer wieder
neue Schüler von den staatlichen Schulen auf die jüdischen überwechselten.
All das bedeutet Unruhe, oft auch Stress, wurde aber dadurch, dass man
"unter sich" blieb und nicht mehr dem täglichen Druck einer feindseligen
Umgebung im Klassenzimmer ausgesetzt war, teilweise wieder ausgeglichen. |
Wie zu erwarten wurde die
Gründung jüdischer Schulen unterschiedlich bewertet. Verständlicherweise
wurden sie von Zionisten und Orthodoxen allgemein begrüßt, da
beide jüdischen Richtungen sich viel davon für ihre eigenen Belange
versprachen. Die Zionisten hofften, dass in Schulen mit Schwerpunkt auf
der Lehre jüdischer Tradition der nationaljüdische Gedanke dabei
gestärkt wurde. Auf orthodoxer Seite erwartet man wiederum die Stärkung
der eigenen religiösen Stellung. Beide Gruppen waren aber 1933 noch
verhältnismäßig kleine Minderheiten innerhalb des überwiegend
assimilierten, in religiösen Fragen weitgehend "liberalen" deutschen
Judentums. |
So kam es, dass viele Eltern
aus eben diesen assimilierten Kreisen zumindestens anfangs dem Gedanken,
ihre Kinder in ein "Lernghetto" umzuschulen, ablehnend gegenüberstanden,
wobei so manche von ihnen noch die Vorstellung von der verpönten "Judenschule"
hatten. Zumeist aber setzten ihre Kinder die Umschulung schließlich
doch durch, um so den täglichen Demütigungen in den staatlichen
Schulen zu entgehen. Andererseits gab es aber auch Kinder, die eine relativ
tolerante staatliche Schule besuchten und sich daher einer erzwungenen
Umschulung in ein ihnen fremdes Milieu seitens der Eltern nur nach längeren
Widerständen beugten. Ausschlaggebend blieb aber letztlich die sich
immer klarer herauskristallisierende Zielsetzung des NS Regimes, alle deutschen
Schulen "judenrein" zu machen. |
Dazu kurz ein paar Zahlen.
Im Dezember 1933 gingen von etwa 60.000 schulpflichtigen jüdischen
Jugendlichen nur etwa 15.000 auf jüdische Schulen. Ende 1937 (spätere
Zahlen liegen nicht vor) waren es von rund 39.000 schulpflichtigen Kindern
- man beachte die durch Auswanderung stark verminderte Gesamtzahl - 23.670,
also über 60 Prozent. Schließlich wurden alle jüdischen
Schüler gemäß einer Anordnung des Reichserziehungsministers
vom 15. November 1938 ab sofort aus allen staatlichen deutschen Schulen
verwiesen. |
Im Sommer 1942 wurden dann
die letzten noch vorhandenen und nur noch einer kleinen Anzahl jüdischer
Kinder dienenden jüdischen Schulen geschlossen, da die der "Endlösung"
überantworteten Jugendlichen ja sowieso keine Schulausbildung mehr
benötigten. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die jüdischen Schulen
einer Generation junger Menschen, die unter unsäglich schweren Bedingungen
lebte, nicht nur Wissen sowohl deutscher wie jüdischer kultureller
Werte vermittelt, sondern haben auch dazu beigetragen, das Selbstbewußtsein
und die unter den bestehenden Umständen oft arg angeschlagene Selbstachtung
jener Jugendlichen zu stärken. |
Nun ist Schule für
alle aufwachsenden Kinder überall nur ein Teil ihrer Jugend. In der
ihnen verbleibenden Freizeit müssen sie sich anderweitig beschäftigen,
und auch das wurde für jüdische Jugendliche nach dem 30. Januar
1933 immer schwieriger. Gewiss, die Ausgrenzungen setzten nicht sofort
ein, aber nach und nach wurde es für Juden allgemein - sofern man
sie als solche erkennen konnte, was keineswegs immer der Fall war - nicht
ratsam, ins Kino, Theater, die Oper, öffentliche Badeanstalten usw.
zu gehen, obgleich ein diesbezügliches staatliches Verbot für
ganz Deutschland erst am 12. November 1938, also nach dem Novemberpogrom,
in Kraft trat. Örtliche Verbote, besonders in kleinen Städten,
wurden jedoch viel früher erlassen. |
Dasselbe galt für den
Sport. Schon im März 1933 wurden jüdischen Sportlern in Köln
die Benutzung der städtischen Spiel- und Sportplätze verboten,
und am 25.April 1933 durften Juden keiner deutschen Sport-und Turnvereinigung
mehr angehören, es sei denn, sie waren Frontkämpfer im 1. Weltkrieg
oder Hinterbliebene von Gefallenen. Im Juni 1933 wurden alle jüdischen
Vereine und Organisationen, die Jugendpflege und Leibesübungen trieben,
aus den Orts-, Stadt-, Kreis- und Bezirksausschüssen ausgeschlossen.
Im Juli 1934 wurden nur zwei jüdische Sportorganisatoren offiziell
anerkannt, der (assimilierte) "Schild" des Reichsbundes jüdischer
Frontsoldaten und der zionistische "Makkabi". |
Alle anderen noch bestehenden
jüdischen Sportgruppen hatten sich einer der beiden Organisationen
anzuschließen. Gleichzeitig wurden in den meisten Städten jüdischen
Sportlern ein Sportplatz zur Verfügung gestellt, den sie benutzen
durften. Das wurde noch im August 1938 von der Gestapo im Einvernehmen
mit dem Reichssportamt bestätigt. Allerdings verfiel diese Vergünstigung
zusammen mit allen anderen noch bestehenden verschiedener Art nach dem
Novemberpogrom desselben Jahres. |
Da der jüdische Sport
von 1933 an schrittweise ghettoisiert wurde, viele jüdische Jugendliche
aber ebenso wie ihre nichtjüdischen Altersgenossen gerne Sport trieben,
waren sie fortan darauf angewiesen, sportliche Wettkämpfe jeglicher
Art lediglich untereinander auszutragen. So traten Jugendliche der jüdischen
Schulen auf dem ihnen zugewiesenen jüdischen Sportplatz gegeneinander
zu Wettbewerben an. Das gleiche taten die verschiedenen jüdischen
Jugendbünde, solange sie noch bestehen durften. |
Was waren die jüdischen
Jugendbünde? Sie entstanden ein paar Jahre vor Ausbruch des Ersten
Weltkrieges aus dem Bedürfnis heraus, jungen jüdischen Menschen,
die in der deutschen Jugendbewegung zusehends lediglich geduldet, in vielen
Fällen auf Grund von Satzungsänderungen aus den Bünden ausgeschlossen
wurden, eigene Organisationen zu schaffen und dadurch auch jüdisches
Selbstbewußtsein zu fördern. Geistige Väter waren unter
anderen Martin Buber und Ernst Simon, vornehmlich für die zionistisch
orientierten Bünde wie der 1912 gegründete "Blau-Weiß"
und andere, kleinere Bünde. |
Nicht-zionistisch war der
1916 gegründete Bund "Kameraden". Allen gemeinsam war, dass sie fast
alle Formen der nichtjüdischen Jugendbewegung beibehielten: Auf Fahrt
gehen, Lieder um's Lagerfeuer singen, Tragen von Kluft, Gemeinschaftsabende
und eine oft romantisch anmutenden Liebe zu Natur, zum Boden, zum Bauerntum.
In den Zwanziger und frühen Dreißiger Jahren entstanden einige
neue Organisationen. Der "Blau-Weiß" löste sich auf, die "Kameraden"
spalteten sich, so dass 1933 die jüdische Jugendbewegung aus mehreren,
zahlenmäßig allerdings zum Teil noch verhältnismäßig
kleinen Bünden bestand. Das waren auf zionistischer Seite z.B. "Haschomer
Hazair", "Werkleute", "Makkabi Hazair" und "Habonim"; auf nichtzionistischer
Seite vor allem "Bund deutsch-jüdischer Jugend" (später, bis
zur Auflösung, "Ring, Bund jüdischer Jugend") und "Schwarzes
Fähnlein, Jungenschaft". Außerdem gab es noch die orthodoxen
"Agudas" Verbände. |
Die zionistischen Bünde
wuchsen nach dem Januar 1933 aus offensichtlichen Gründen stark an,
während die nicht-zionistischen zwar zahlenmäßig kaum Einbuße
erlitten, sich aber 1934 bzw. 1936 entweder selber auflösten oder
vom NS Regime aufgelöst wurden. Der Grund war, dass die Geheime Staatspolizei
alle jüdischen "assimilatorischen" Verbände, ob von Jugendlichen
oder Erwachsenen, nicht länger duldete, da diese, wie man in Berlins
Prinz-Albrecht-Straße meinte, die Juden dazu ermutigten, in Deutschland
auszuharren anstatt möglichst schnell auszuwandern. Da die Zionisten
diesem Bestreben der Gestapo mit ihrer besonders für die Jugend energisch
betriebenen Alija nach Palästina nachkamen, durften die zionistischen
Organisationen einschließlich ihrer Jugendbünde bis Ende 1938
weiterbestehen. |
In einigen Fällen führte
das dazu, dass verschiedenen zionistischen Jugendgruppen 1935 gestattet
wurde, zumindest in geschlossenen Räumen Kluft zu tragen und ihre
Fahnen zu zeigen. Das war dem damals noch bestehenden "Ring, Bund jüdischer
Jugend" wie auch dem nichtzionistischen Sportverband, der "Schildjugend"
des "Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten", schon lange verboten. So
waren die etwa 50 000 jüdischen Jugendlichen, die 1936/37 schätzungsweise
im Alter von12 bis 25 Jahren in jüdischen Jugendverbänden organisiert
waren, deren Zahl sich seit 1933 mehr als verdoppelt hatte, und die etwa
60% der gesamten damals noch in Deutschland befindlichen jüdischen
Jugendlichen ausmachten, alle Mitglieder zionistischer Verbände. |
Mit ganz wenigen Ausnahmen
verbanden diese Bünde, ganz gleich, zu welcher Weltanschauung ihre
Mitglieder sich bekannten oder aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie
stammten, einen aus der deutschen Jugendbewegung entlehnten romantisch-idealistischen
Lebensstil mit einer bewußten Bejahung ihrer jüdischen Herkunft.
So schrieb ein damaliger Zeitgenosse 1937: Alle jüdischen Jugendbünde
verbindet heute eine heroisch-entsagende Grundhaltung. Den Typ des Soldaten
und den Typ des Chaluz (Pioniers) hat sich die jüdische Jugend zu
Vorbildern für die Verwirklichung ihrer sittlichen-ernsten Lebensführung
genommen. |
Nun trug die Jugendbewegung
nicht nur dazu bei, den jungen Menschen eine sinnvolle Freizeitgestaltung
zu ermöglichen. Sie spielte auch eine wesentliche Rolle, ihren Mitgliedern
Berufen zuzuführen, die früher oder später ihre Auswanderung
erleichtern sollten. Denn die Berufsfrage wurde schon ab 1933 für
die Jugendlichen akut. Jahr für Jahr gingen tausende von jungen Juden
von den Schulen ab, fanden dann aber zusehends immer weniger berufliche
Ausbildungsmöglichkeiten. |
Solange Juden noch in kaufmännischen
Berufen tätig sein durften - was aus wirtschafts- und außenpolitischen
Erwägungen des NS-Regimes bis Ende 1938, allerdings mit sinkender
Tendenz, noch möglich war, gab es bis dahin immer noch kaufmännische
Lehrstellen. Diese waren aber ungeeignet, junge Menschen auf die Auswanderung
in ein fremdes Land vorzubereiten, ja, ihnen diese überhaupt zu ermöglichen
oder wenigstens zu erleichtern, da es zur Zeit der weltweiten wirtschaftlichen
Depression in Europa und Übersee mehr als genug Arbeitskräfte
in diesem beruflichen Bereich gab. Da aber die meisten anderen Berufe Juden
in Deutschland fortan verschlossen waren, standen die meisten jüdischen
Jungen und Mädchen bei Schulabschluss häufig vor dem Nichts. |
"Unsere Jugend ist nicht
arbeitslos", schrieb damals ein jüdischer Lehrer, "sie ist berufslos".
Und er hatte Recht. Dieser Umstand war insofern so kritisch als ein geeigneter
Beruf für die Auswanderungschancen der jungen Generation unglaublich
wichtig war. |
Denn dass spätestens
nach Verkündung der Nürnberger Rassegesetze im September 1935
ein Ausharren in Deutschland für junge jüdischen Menschen aussichtslos
war erkannten zu diesem Zeitpunkt alle führenden Köpfe des deutschen
Judentums, und nicht nur den Zionisten unter ihnen. Es war aber sehr schwierig,
in den Dreißiger Jahren ein Einwanderungsland zu finden, da kein
Land mit zumeist Millionen von Arbeitslosen zusätzliche Menschen aufnehmen
wollte und, wegen des damals weitverbreiteten Antisemitismus, insbesondere
keine Juden, es sei denn, sie waren reich. |
Das waren aber die wenigsten,
dank der nationalsozialistischen Devisengesetze, die es Juden lediglich
ermöglichte, einen Brucheil ihres Geldes legal mitzunehmen. Angesichts
dieser Schwierigkeiten bemühten sich die leitenden jüdischen
Stellen, vor allem die Reichsvertretung darum, die Jugendlichen durch Erstausbildung
oder durch fachliche Umschichtung Berufen zuzuführen, mit denen sie
im Ausland, sei es in Palästina oder in Übersee, Aufnahme finden
und ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Und diese Bemühungen
fanden vornehmlich bei den Bünden der jüdischen Jugendbewegung,
der zionistischen wie der nicht-zionistischen, volle und wirksame Unterstützung. |
Irgendwann vor der Auflösung
des "Ring, Bund jüdischer Jugend" durch die Gestapo 1936 schrieb der
damalige Leiter dieses Bundes, Heinz Kellermann: |
"Wir wissen,dass auch
die Auswanderung eine Bundesfrage geworden ist... Wechsel des Landes bedeutet
für uns nicht Wechsel der Gesinnung. Wir glauben und hoffen zuversichtlich,
dass Menschen echter Prägung auch in fremder Umgebung weder sich noch
ihre Vergangenheit verleugnen werden... Es gilt hier in abgewandelter Form
das Wort, das uns Buber einmal zugerufen hat: Es kommt nicht darauf an,
dass man bleibt und dass man geht, sondern wie man bleibt und wie man geht". |
Aber es kam auch darauf
an, wohin man gehen wollte oder konnte. Kellermann kam nun aus den Reihen
derer, deren Ziel nicht Palästina war. Und bis zum bitteren Ende hingen
die Zielländer, in die man gehen wollte, davon ab, ob die von den
Bünden weitgehend geprägten und geförderten landwirtschaftlichen
und handwerklichen Ausbildungsstätten zionistische oder nicht-zionistische
Gründungen waren. |
Während das einzige
größere nicht-zionistische Auswandererlehrgut Groß Breesen,
das noch vor Auflösung des "Ring" auf dessen Initiative hin gegründet
worden war und dessen Lehrgangsteilnehmer von dort aus als ausgebildete
Landwirte oder Handwerker nach Übersee, aber nicht nach Palästina
gehen wollten, war es auf zionistischer Seite hauptsächlich der Weltverband
des "Hechaluz", der innerhalb Deutschlands wie auch in einigen angrenzenden
Staaten sogenannte "Hachscharahstellen" einrichtete. Dort erhielten Jungen
und Mädchen eine landwirtschaftliche, handwerkliche und hauswirtschaftliche
Ausbildung, um sie so für die "Jugendalija" nach Palästina vorzubereiten.
Aber ob es nun Jugendalija-Hachscharahstellen waren, wie unter anderen
die Güter Winkel, Neuendorf und Steckelsdorf, oder das nicht-zionistische
Groß Breesen in Schlesien, die Ausbildung der jungen Menschen und
die damit verbundenen Probleme unterschieden sich wenig voneinander. |
Nun war es aber besonders
in den ersten Jahren des "Dritten Reiches" sehr schwierig, jüdische
Eltern bürgerlicher wie auch kleinbürgerlicher Herkunft davon
zu überzeugen, dass eine landwirtschaftliche oder handwerkliche Lehre
für ihre Kinder nützlicher war als eine von den Eltern oft angestrebte
kaufmännische oder, zumindest solange das überhaupt noch möglich
war, eine akademische Ausbildung. Mit kaum verhaltener Verbitterung schrieb
ein zionistisches Mitglied des Reichsvertretung noch Anfang 1938: |
Im Laufe der letzten
fünf Jahre ist es uns nicht gelungen, die Juden in Deutschland zu
der Erkenntnis zu erziehen, dass die handarbeitenden Berufe keine Degradierung
gegenüber den kaufmännischen oder dem akademischen Beruf bedeuten.
Die Lebensumstände der Eltern und ihr Berufsleben sind stärker
als alle gedankliche Überzeugungsarbeit. Von den primitivsten Formen
der Bemitleidung der Kinder wegen ihrer den Eltern fernliegenden Berufswahl
bis zu ständigen Versuchen, die Berufswahl umzustoßen und mit
unsachlichen Argumenten zu beeinflussen, zeigt sich hier eine der Schwierigkeiten,
die unserem Übergangsprozess notwendig zu eigen sind. |
Derselbe Autor hatte schon
ein Jahr zuvor auf ein weiteres Problem hingewiesen, das mit dem eben erwähnten
eng verbundenen war. Das bestand darin, dass sich für die Ausbildungsstätten
viel mehr Jungen als Mädchen bewarben. Er schrieb: |
Ungefähr 70% der
Mädchen, die von der Schule jährlich abgehen, entziehen sich
der Arbeit der jüdischen Instanzen völlig... Die Eltern behalten
ihre Kinder zu Hause, damit sie in der Hauswirtschaft helfen oder verwenden
sie sonst als billige Arbeitskräfte und vermitteln ihnen so keine
geeignete berufliche Ausbildung. Sowohl die Jugend-Alija wie die Erstausbildung
der chaluzischen Verbände und das Auswandererlehrgut Groß Breesen
leiden darunter, dass die Mädchen noch nicht 1/10 der Belegschaft
ausmachen... |
Im gleichen Sinne schrieb
der Leiter Groß Breesens, Professor Curt Bondy, im Juli 1936 an eine
an der Ausbildung ihrer Tochter interessierte Mutter: |
Einem Außenstehenden
wird es eigentümlich erscheinen, dass wir soviel Propaganda machen,
um Mädchen hierherzubekommen, denn wir betonen doch immer wieder,
dass wir zu viele Anmeldungen haben. Tatsächlich melden sich auch
sehr viele Jungen und wir haben schon 400 ablehnen müssen; aber die
Meldungen der Mädchen sind wirklich sehr spärlich. |
Natürlich gab es auch
noch andere Probleme: die Anpassung der jungen, zumeist städtischen
Menschen an die ungewohnte Arbeit, das Landleben, das Gemeinschaftsleben.
In mehreren Fällen gab es anfangs auch Ärger mit den örtlichen
nationalsozialistischen Parteistellen, die in ihrem Verwaltungsbereich
keine Juden wollten. Aber diese Schwierigkeiten verblassten vor der Hoffnung
der jungen Menschen, einen praktischen Beruf zu lernen und dann eine neue
Heimat zu finden, sei es in Erez Israel, den USA, oder sonstwo auf der
Welt. Im ganzen überwog eben ein positiver Geist. Der Idealismus der
Jugendbünde übertrug sich auf die Ausbildungsstätten und
erfaßte dort auch diejenigen, die nie einem der Bünde angehört
hatten. |
Bis November 1938 weitgehend
von der nationalsozialistischen Umwelt verschont wurde die Mehrzahl dieser
im Lande verstreuten Ausbildungsstätten zu schützenden Inseln
in der braunen Flut. Junge Menschen verschiedener Herkunft, verschiedenen
Alters, verschiedener Schulausbildung wuchsen aus anfangs zusammengewürfelten
Gruppen zu Gemeinschaften zusammen, stolz auf den Erfolg ihrer Arbeit und,
speziell auf den Hachschrahstellen, stolz auf ihr Judentum, das viele von
ihnenÑwahrscheinlich sogar die meistenÑin eben diesen Gemeinschaften
erst wiederentdeckten und nun pflegten. Noch heute verspürt man diesen
Geist einer neuen Lebensbejahung, der einem aus den Zeitdokumenten entgegenschlägt.
So schrieb damals ein Chaluz über seine Arbeit auf der Hachscharahstelle
Niederschönhausen bei Berlin: |
Da werkt einer sinnig
an einer Alijakiste. Hin und her geht der Körper mit dem Hobel. Ganz
bei der Sache, und über die Sache hinaus schweifen doch die Gedanken.
Alija! Davon träumen doch die meisten. Das ist ihr Ziel, dafür
arbeiten sie. Blau-Weiss! In dem Felde leuchtet ihr Stern. |
Und ein anderer schrieb
aus einer ungenannten Hachscharah Ausbildungsstätte: |
Immer wieder, von einigen
spontan angestimmt, klingen unsere Gesänge, die erzählen vom
Werden eines neuen jüdischen Volkes, das verwurzelt ist im Geiste
seiner Väter. Alles Jüdische, gleich aus welchen Motiven und
auf welchen Gebieten es entstanden ist, versuchen wir unseren Menschen
nahezubringen... Ganz aus dieser Stimmung heraus erklingen nochmals unsere
Lieder... Befriedigt geht man nach solchen Abenden zu Bett - mit dem Bewußtsein,
dem Judentum wieder einen Schritt näher gekommen zu sein. |
Schließlich schrieb
ein Groß Breesener Praktikant, Alexander "Wastl" Neumeyer, im Juli
1936 einem Freund: |
Beim Hacken und Unkrautsammeln
in den ersten Wochen mußte immer irgend jemand dahinter stehen, wenn
etwas getan werden sollte. Den meisten war das Reden bei der Arbeit wichtiger
als die Arbeit selbst; es wurde immer wieder nach der Uhr gefragt, wieviel
man schaffte, war gleichgültig. Da kam die Heuernte. Sie war ungewöhnlich
groß, und wir hatten wochenlang viel und anstrengende Arbeit. Nun
mußte jeder einzelne von sich aus alles hergeben, um damit fertig
zu werden. Mit einem Schlag änderte sich das Bild. Jeder wußte,
um was es ging... |
Und jeder merkte, dass
es doch unser Heu, unsere Ernte war, um die wir uns bemühten... Es
ging nicht mehr nur nach dem Uhrzeiger. Jeder fühlte, dass der Feierabend
noch einmal so schön war, wenn er wußte, das Heu ist geborgen.
Ja,... man mußte aufpassen, nicht, dass zu wenig gearbeitet wurde,
sondern dass nicht mancher zu viel tat und sich dabei übernahm. |
Keiner dieser Ausbildungsstätten
war ein langes Bestehen vergönnt. Am 9./10. November 1938 brach die
braune Flut über sie hinein und beendete ihr Inseldasein. Der Novermberpogrom,
euphemistisch "Kristallnacht" genannt, war der Anfang vom Ende - und nicht
nur für die Hachscharahstellen, Groß Breesen,und die anderen
Lehrgüter und deren Menschen. Wie vielen es dann noch zwischen dem
Novemberpogrom und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelang, auszuwandern,
beruht vornehmlich auf Schätzungen. |
Die Zahl derjenigen Jugendlichen,
die entweder allein oder mit ihren Eltern während dieser Zeitspanne
Deutschland noch verlassen konnten, wird auf etwa 4.300 geschätzt.
Die Gesamtzahl kann aber auch etwas höher liegen. Dagegen befanden
sich am 31. Juli 1941, also zwei Monate bevor Himmlers Auswanderungsverbot
für Juden verkündet wurde, noch ungefähr 26.000 Jugendliche
zwischen 0 und 25 Jahren im "Altreich". Von ihnen hat nur eine ganz kleine
Anzahl überlebt. |
Und was geschah mit dem
beträchtlichen Anteil derjenigen jüdischen Jugendlichen, die
nicht in der Jugendbewegung waren und auch nicht in eine der Ausbildungsstätten
- zionistisch oder nicht-zionistisch - gegangen waren? Kurz vor dem Novemberpogrom
1938 schrieb einer der damals führenden Jugendleiter des "Ring, Bund
jüdischer Jugend", Günther Friedländer, in einem ungezeichneten
Bericht über eben dieses Thema. Die Lage speziell der 16 und 17 jährigen,
die weder einem Bund angehörten - und zu diesem Zeitpunkt gab es nur
noch zionistische Bünde - noch an einem Ausbildungsprogramm in einer
der Hachscharahstätten teilnahmen, sei in jeder Hinsicht katastrophal. |
Die meisten von ihnen kamen
aus dem jüdischen Kleinbürgertum oder waren Kinder ehemals wohlhabender
Eltern, die im Zuge der wirtschaftlichen Verschlechterung der deutschen
Juden seit 1933 verarmt waren und denen die Auswanderung bis zu diesem
Zeitpunkt nicht gelungen war. Die große Mehrheit von ihnen lebte
in Großstädten, vor allem in Berlin. Ihre persönliche Lage
war traurig, sowohl was die Gegenwart anbetraf wie auch der Ausblick für
die Zukunft. Zunächst einmal ging die traditionelle jüdische
Stütze, die Familie, unter dem Druck der äußeren Umstände
langsam aber sicher in die Brüche. |
Früher war es eben
so gewesen, dass, was auch immer "draußen" geschah, ein Kind zu Hause
Hilfe, Trost und Zuspruch empfing, sogar dann, wenn man im Pubertätsalter
oft auf gespanntem Fuß mit den Eltern stand. Aber der Halt, den das
Elternhaus früher zumeist hatte geben können, war unter dem anhaltenden
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck von außen
fortwährend untergraben worden. Der Vater, der täglich mit immer
schwieriger werdenden, zumeist wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen
hatte und diese nicht mehr bewältigen konnte, wurde in vielen Fällen
zu einem völlig gebrochenen Mann. |
Dazu kam die räumliche
Einengung, zumal nach dem November 1938, und die damit verbundenen Familienstreitigkeiten,
die unter den gegebenen Umständen fast unvermeidlich waren. Angst
vor einer unsicheren Zukunft, Entschlußunfähigkeit, Frust -
all diese Faktoren kamen zusammen und führten zu Zwistigkeiten zwischen
den Eltern aber auch zwischen Eltern und Kindern. Letztere flohen dann,
versuchten, sich so wenig wie möglich zu Hause aufzuhalten, hatten
aber andererseits nur sehr begrenzte Möglichkeiten, auszuweichen.
So ging man, jedenfalls solange das noch möglich war, in jüdische
Tanzhallen oder ins Kino. |
Aber auch das war nach November
1938 nicht mehr möglich und so war man dann mehr oder weniger gefangen
im eigenen, zerrütteten Elternhaus, eingepfercht, ohne Privatleben
- im Pubertätsalter besonders wichtig - eine kleine Hölle innerhalb
einer größeren, äußeren Hölle. Der Endeffekt
war Apathie, Zynismus, ein Gefühl des Auswegslosigkeit. Das einzige,
was sie gemeinsam hatten mit vielen der chaluzim auf den Hachscharahstellen,
die es nicht geschafft hatten, nach Palästina zu gehen, und mit den
noch verbliebenen Jungen und Mädchen im Jüdischen Auswandererlehrgut
Groß Breesen - seit August 1941 ein Arbeitseinsatzlager - war, mit
wenigen Ausnahmen, das Ende in einem Vernichtungslager. |
Und die kleine Anzahl derer,
denen es gelang, entweder noch kurz vor Beginn der "Endlösung" auszwandern
oder durch Zufall in einem der Vernichtungslager zu überleben, die
wurden einer der wichtigsten Phasen ihres Lebens beraubt - ihrer Jugend. |
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